Teilnehmer bei der Graz für Alle!-Konferenz

„Das Murkraftwerk hat einen Graben in Graz aufgerissen“

Lesezeit: 3 Minuten

Auf der Graz für Alle!-Konferenz im Forum Stadtpark äußerten sich VertreterInnen der Grazer Zivilgesellschaft unzufrieden über die aktuelle Stadtentwicklung. Doch ein Gast aus Barcelona stiftete Inspiration.

Wie viel Mitspracherecht wird den GrazerInnen in wichtigen politischen Entscheidungen zugestanden? Sollte Solidarität in Graz größer geschrieben werden? Wie wollen die BewohnerInnen der Landeshauptstadt in Zukunft überhaupt zusammenleben? Mit diesen und vielen weiteren Fragen beschäftigten sich die TeilnehmerInnen an der ersten Graz für Alle!-Konferenz für eine solidarische Stadt der Zukunft, die Ende November im Forum Stadtpark stattfand. Die Idee, eine Konferenz dieser Art ins Leben zu rufen, sei laut Josef Obermoser, der die Konferenz im Rahmen seines Crossroads-Festival für Dokumentarfilm organisierte,  eine ganz spontane gewesen. „Die Stadt Graz hat viel Potenzial. Es liegt an uns, unsere Stadt gemeinsam positiv weiterzuentwickeln.“

Ein tiefer Graben

Tatsächlich sprenkeln aktuell eine ganze Reihe von Initiativen, die sich bereits seit Jahren mit progressiver Stadtpolitik auseinandersetzen, den Grazer Stadtplan. Dass sich viele von ihnen in ihrer Arbeit seitens der Stadtregierung allerdings nicht ernstgenommen fühlen, wurde schon am Eröffnungstag der Konferenz in einer Podiumsdiskussion zwischen VertreterInnen des Kunstzentrums rotor, des Vereins Transition Graz und der Plattform Rettet die Mur deutlich.

„Die Verbindung zwischen der Stadtregierung und den Wünschen der Bevölkerung geht aktuell wortwörtlich den kanalisierten Bach hinunter“, kritisierte Romana Ull von der Plattform Rettet die Mur scharf. Auch Margarethe Makovec von rotor, dem Grazer Zentrum für zeitgenössische Kunst, forderte „eine Demokratisierung der Demokratie in Graz.” David Steinwender ist bei der Initiative Transition Graz tätig, die sich vor allem mit Fragen des Klimawandels auseinandersetzt. Die Zusammenarbeit zwischen seiner Initiative und der Grazer Stadtregierung erlebt er wie folgt: „Die Basis für die Durchführung von Projekten wird einem genommen, während öffentlich dann Dankbarkeit suggeriert wird.”

Josef Obermoser: Die Konferenz ist ein Zwischenschritt. Tut man sich mit mehr Initiativen zusammen, kann es gelingen, eine Veranstaltung von viel größerem Ausmaß auf die Beine zu stellen.” – Foto: Clara Melcher

Die „eskalierte Auseinandersetzung“ rund um den geplanten Bau des Murkraftwerks war für Obermoser der Auslöser für die Einberufung der Konferenz. „In dem Konflikt wurde seitens der Stadtregierung gegen einen großen Teil der Bevölkerung gearbeitet. Das hat in Graz einen riesigen Graben aufgerissen.“ Daher sei es ihm ein Anliegen, Grazer AkteurInnen zu vereinen, die Ideen austauschen und gemeinsam an der Vision „Graz als eine solidarische Stadt der Zukunft“ arbeiten. Somit soll ein klarer Gegenpol zur aktuellen Stadtregierung gebildet werden.

Blick nach Spanien

Dass eine aktive Zivilgesellschaft tatsächlich Einfluss auf die Regierung einer Stadt haben kann, zeigt das Beispiel Barcelona. Dort stellt seit Juni 2015 die basisdemokratische Bewegung Barcelona en Comú mit Ada Colau sogar die Bürgermeisterin.

Auf Bildern, die einige Monate vor ihrer Wahl zur Bürgermeisterin aufgenommen wurden, ist die Ex-Aktivistin Colau dabei zu sehen, wie sie bei einer Demonstration mit leichtem Lächeln auf der Straße sitzt und von einem Polizisten mit sanfter Gewalt zum Aufstehen bewegt wird. Wenige Monate später kursiert ein anderes Foto von ihr durch die Medien, auf dem sie mit erhobenen Armen, begleitet von zwei beschützenden Polizisten, ihre Wahl zur Bürgermeisterin Barcelonas zelebrierte.

„2008 begannen die Hypotheken auf viele Häuser in unserer Stadt für einen Großteil der Bevölkerung unbezahlbar zu werden“, erklärte Oriol Cervelló. Er ist Mitglied von Barcelona en Comú und berichtete auf der Grazer Konferenz über den Aufstieg des von Colau gegründeten Parteibündnisses und über die ersten Erfahrungen, die er in Barcelonas Stadtregierung gewonnen hat. Damals seien viele Gebäude zwangsgeräumt worden, teilweise auch unter Einsatz von Polizeigewalt. Die Arbeitslosenquote stieg durch die spanische Wirtschaftskrise rasant an, viele BürgerInnen der Stadt seien verzweifelt. Daraufhin formte sich 2009 die zivile Plataforma de Afectados por la Hipoteca. „Hunderte Menschen versammelten sich vor den Haustüren jener Häuser, die geräumt werden sollten und hinderten die Polizisten am Eintreten. So gewannen die BürgerInnen, denen drohte, von heute auf morgen mit Nichts dazustehen, etwas Zeit“, führte Cervelló aus. Schnell begann sich das Netzwerk zwischen Barcelonas Initiativen und aktiven BürgerInnen auszuweiten. Es setzte sich unter anderem für mehr Demokratie, für das Recht auf Wohnen und gegen Korruption ein. Die Proteste und Demonstrationen hatten 2014 die Gründung der Organisation Barcelona en Comú zur Folge, ein Jahr danach gelang der Einzug ins Rathaus.

Eine Stimme den Grazerinnen und Grazern

Wirklich vergleichen lässt sich die Situation in Barcelona mit Graz natürlich nicht. „Dass eine zivilgesellschaftliche Plattform aus Protesten heraus das Rathaus übernimmt, ist einmalig”, meint auch Obermoser. Wie man am Bau des Murkraftwerks ausmachen kann, ist es aktuell nicht möglich, als Bürgerin oder Bürger von der Grazer Stadtregierung gehört zu werden.“ Die Vehemenz, mit der die Forderung nach einer Volksbefragung seitens der Stadtregierung „vom Tisch gewischt” worden wäre, hätte allgemeine Ratlosigkeit in der Grazer Zivilgesellschaft hervorgerufen. Der Verwaltungsgerichtshof hatte im Juli eine entsprechende Beschwerde der Aktivisten allerdings zurückgewiesen.

In Kleingruppen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Zukunftsthemen. – Foto: Clara Melcher

Doch Obermoser sieht Hoffnung: Cervelló sollte als Gast bei der Konferenz auf Barcelona en Comú und damit auf den Erfolg, den eine Vereinigung von verschiedenen Initiativen und AktivistInnen haben kann, hinweisen, um somit den Grazer TeilnehmerInnen als Inspiration zu dienen. Mit Erfolg: In der dreitägigen Konferenz bildeten sich Arbeitsgruppen zu den Themen Solidarische Stadt, Öffis und Räder für Alle, Ökostadt Graz, Lokale Medien und Stadt demokratisieren mit der Intention, auch noch über das Festival hinaus an den entstandenen Ideen rund ums Thema „Graz als solidarische Stadt der Zukunft” zu arbeiten.

Infobox
Mehr zum Thema Urban Challenges unter: https://helsinki.at/news/sendereihe-urban-challenges

 

Deutsch-Italienerin, die nur auf den Namen Cleo hört. Lebt für's Schreiben und für spätnächtliche philosophische Diskurse. Wäre mit Goethe verheiratet, wenn dieser noch leben würde.

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