Foto: Theresa Niederl

Leerstände in der Annenstraße

Lesezeit: 3 Minuten

Die regelmäßige Bestandsaufnahme der Annenpost zu den Leerständen in der Annenstraße hat heuer ein trauriges Ergebnis gebracht: Eine Auflistung der ungenutzten Flächen in der Verbindungsstraße zwischen Grazer Bahnhof und Innenstadt.

Von: Clara Melcher, Theresa Niederl

27 Leerstände zählt die Annenstraße im Frühjahr 2018. 27 Leerstände, die Geschichten von Geschäften erzählen, die sich nicht halten konnten. Einige von den Geschäften mussten schon vor Jahren ihre Pforten schließen, andere dunkelten ihre Schaufensterscheiben erst vor wenigen Wochen mit Zeitungspapier ab. Dasselbe Schicksal blüht einigen Geschäften auch in den kommenden Tagen und Wochen. Ein Lagebericht über die Leerstände in der Annenstraße.

Ein virtueller Spaziergang durch die Annenstraße: Auf der folgenden Karte wird ersichtlich, wo die 27 leerstehenden Geschäftsflächen in der Annenstraße zu finden sind. Die blauen Icons gewähren Einblick in die Geschichten, die hinter den abgedunkelte Fenstern stecken.

Knapp viereinhalb Jahre sind seit der radikalen Neugestaltung der Annenstraße vergangen. Ziel der großen Umbauarbeiten 2012/2013 war es, Gehsteige zu verbreitern, Fassaden und Asphalt mit lebendigem Grün aufzulockern und in eine Schlendermeile zu transformieren. Spaziert man aktuell die Straße entlang, die den Grazer Hauptbahnhof mit der Innenstadt verbindet,  springt allerdings eines besonders ins Auge: gähnende Leere. Beinahe jedes dritte Geschäft links und rechts der stark befahrenen Straßenbahntrasse ist tot. Nur mehr erahnen lässt sich, was sich einst hinter deren Fassaden abgespielt haben könnte.

Leerstände der Zukunft

„An den Geschäften der Annenstraße spazieren zwar viele Leute vorbei, aber stehen bleiben tut niemand“, klagt Emina Hadžipasić, Geschäftsführerin des kleinen Modegeschäfts „Moda One“ in der Annenstraße Nummer 8. Der Schriftzug „Neueröffnung“ ziert das Schaufenster der Boutique. Darunter wurde ein bunter Karton mit Klebestreifen provisorisch befestigt, auf dem „Totalabverkauf“ mit schwarzem Filzstift geschrieben steht. Im August erst wurde das Geschäft eröffnet. Die Kundschaft blieb seither aus. „Im Annenviertel wohnen viele Ausländer, ein Großteil davon hat wenig Geld. Die Frage, ob ich denn nicht etwas am Preis machen könne, höre ich oft.“

Auch durch die großen Schaufenster der Hausnummern 9, 10 und 11 fällt das bisschen durchdringende Tageslicht einzig auf kahle Räume und nackte Wände. Das gelbe Haus mit der Nummer 9 ziert ein großräumiger, liebevoll gestalteter Balkon, doch das pinke Fenstertattoo „Seven Heaven“ ist das einzig Lebendige an der verlassenen Geschäftsfläche im Erdgeschoss. Auch die Räumlichkeiten nebenan warten auf einen neuen Mieter. Bis Februar oder März 2014 befand sich dort ein Designerladen, der selbst angefertigte Taschen anbot.

Die Reinigungsfirma Stross zog bereits zum dritten Mal innerhalb der Annenstraße um. Zuerst wurde das große Glaseckgeschäft, die Nummer 42 am Esperantoplatz, angemietet, bevor sie in die Nummer 25, weiter stadteinwärts, übersiedelte. Aufgrund zu hoher Mietpreise entschied sich die Firma daraufhin, eine kleinere Geschäftsfläche anzumieten und zog in der Nummer 27 um. Im Erdgeschoss der Hausnummer 25 ist es seither wieder finster.

„Ich beobachte seit Jahren tagtäglich, was auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor sich geht“, erzählt Kerstin Eberhard, Leiterin des „Blauen Ateliers“ in der Annenstraße. „Der ‚Re.use‘ Bikeshop hatte einfach zu wenig Kunden. Viel zu selten sind Passanten in den Laden eingetreten.“ Nummer 34 erweitert die Liste der Leerstände in der Annenstraße also abermals. Auch die Hausnummer 32 wird in einigen Tagen leer stehen. Das dort eingemietete Modegeschäft „Sara“ wird in zwei Wochen die Regale und Kleiderbügel räumen.

Direkt nebenan befand sich das Restaurant „Mevlana“. Alte Tische und Sessel zieren die Auslage. Doch vor einigen Tagen verschwanden die verstaubten Möbel hinter Fensterscheiben, die mit Zeitungen beklebt sind. Vielleicht steht das Restaurant nicht mehr lange leer. Dass das Comicparadies der Annenstraße mit 31.01.2018 endgültig seine Pforten schloss, blutet ebenfalls vielen Annenviertlern im Herz und hinterließ auch im Erdgeschoss der Hausnummer 35 gähnende Leere.

Ungenutzte Flächen – jahrzehntelang

„Das ehemalige ASC-Reisebüro mit der gelben Fassade? Mein Gott, das steht doch bestimmt schon Jahrzehnte leer“, erinnert sich Herr Zehetner vom „Hotel Drei Raben“ in der Annenstraße und überlegt weiter: „Die Bäckerei Sorger müsste vor ungefähr 2 Monaten die Räumlichkeiten der Hausnummer 42 verlassen haben.“

Das Nagelstudio „Milla“ wird nun schon seit 16 Jahren von Susanne Neuhold in der Annenstraße betrieben, sie hat eine positivere Wahrnehmung. „Seit dem großen Annenstraßen-Umbau profitiere ich von den Straßenbahnen, die direkt vor meinem Geschäft halten. Außerdem ist es vorteilhaft, dass sich der Bahnhof und viele Hotels in unmittelbarer Nähe befinden. Ein Nagel bricht schließlich auch im Urlaub mal ab.“ Die vielen Leerstände erklärt sie sich mit den unverhältnismäßig hohen Mietpreisen der Geschäftsflächen. Doch nicht immer sind zu hohe Mietpreise oder fehlende Kundschaft der Grund für die Schließungen: „Ende letzten Jahres stand die Polizei vor den Türen des Café Joker’s und räumte das Wettcafé. Seitdem sind die Türen gerichtlich versiegelt“, schildert der Betreiber des „Afro Shops“ nebenan.

Die Nummer 64 bot im Jahr 2017 der Raumbasis und dem Verein Annenviertel Gelegenheit zur Nutzung, aber nur zur Zwischennutzung. Beide Vereine sind wieder ausgezogen und man kann nur noch rätseln, ob sich hinter der Wand aus Zeitungen etwas tut.

Bei einer ersten großen Bestandsaufnahme im Jahr 2014 zählte die Annenpost noch 18 Leerstände, ebenso wie im Jahr 2016, als die Redaktion erneut Leerstände zählte. Im Jahr 2018 sind es nun schon 27. Wie viel werden es 2022 wohl sein?

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