Die Orgel der Andräkirche - Foto: Matteo Eichhorn

Orgeln im Annenviertel

Lesezeit: 4 Minuten

Heute feiern katholische Christen am Pfingstfest die Entsendung des Heiligen Geistes. Auf keinen Fall fehlen darf dabei die musikalische Untermalung durch die „Königin der Instrumente“. Woche für Woche bringt eine kleine Szene die zwölf Orgeln im Annenviertel zum Klingen.

Andräkirche: Eine wetterfühlige Orgel

In der Andräkirche erklingt ein etwas kleinlautes großes C. „Die Orgel hier ist in einem schlechten Zustand. Manche Töne ziehen nicht wirklich durch. Das bedeutet, es kommt nur die halbe Luft durch das Ventil.“ Hans-Wolfgang Theobald, Orgelbauer, lernt gerade das Instrument kennen. Die deutsche Firma Klais Bonn möchte sich mit einem Kostenvoranschlag für die Reparatur bewerben. „Die Orgel hier war einmal ein tolles Instrument. Leider wurde sie in den 60er-Jahren nicht zu ihrem Vorteil umgebaut“, sagt Theobald, während er versucht, sich im staubigen Labyrinth von Hebeln, Ventilen und Pfeifen einen Überblick zu verschaffen. „Ich bin jetzt schon seit 40 Jahren Orgelbauer. Trotzdem werde ich immer wieder überrascht: So eine Mechanik wie hier habe ich noch nie gesehen!“

Nun stößt Emanuel Rusec dazu, seit einem Jahr ist er hauptberuflich Organist in der Andräkirche. Er berät den Orgelbauer und erzählt von seinen Erfahrungen: „Das Instrument ist sehr wetteranfällig. Denn je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit dehnt sich das Holz aus, deshalb sind die Tasten entweder härter oder weicher zu bedienen.“ Beim Klang des riesigen Pfeifeninstruments gerät er ins Schwärmen: “Ich liebe den einmaligen Klang dieser hochromantischen Orgel.  Ich kann mir vorstellen, dass das Bespielen und Zuhören nach einer Renovierung ein Genuss par excellence wäre.“ Über Spendensammlungen versucht die Kirche, das nötige Geld dafür aufzubringen.

Die wetterfühlige Orgel ist nicht die einzige Besonderheit im Alltag des Organisten. Während der häufigen Ausstellungen in der Andrä-Kirche improvisiert Rusec mit anderen Musikern passend zu den Kunstwerken. Außerdem finden regelmäßig internationale Gottesdienste mit der afrikanischen und lateinamerikanischen Gemeinde statt: Dabei kann es schon vorkommen, dass die Orgel aus dem Jahr 1884 beim Einzug gemeinsam mit afrikanischen Trommeln erklingt. „Normalerweise sind diese Bereiche streng getrennt, jeder macht seine eigene Musik, hier verbinden wir es. Das ist gleichzeitig eine interessante Erfahrung und eine große Herausforderung.“

Ein Orchester unter den Fingern

Emanuel fand mit 15 Jahren, nach sechs Jahren Klavier- und Geigenunterricht, zu seinem heutigen Lieblingsinstrument: “Als ich das erste Mal die großen Stücke von Bach und Reger hörte, fand ich sie so genial, dass ich sofort wusste: Das will ich auch können!“ Für Rusec ist das Spielen ein unbeschreibliches Gefühl: „Musik selbst zu machen ist viel mehr als nur Musik zu hören, denn man kann die Melodien selbst kreieren und beeinflussen. Sie beginnen im Kopf, entstehen im Instrument und kommen dann zu den Ohren zurück. Wenn ich Orgel spiele, ist das Gefühl noch intensiver. Es ist, als könnte ich durch meine Finger ein ganzes Orchester zum Klingen bringen.“

Mariahilfer Kirche: „Was zählt, ist die Musik“

Im Annenviertel gibt es insgesamt 12 Pfeifenorgeln und 16 Kirchen. Bis auf eine altkatholische und zwei evangelische Kirche sind alle römisch-katholisch. Die bekannteste davon ist die Mariahilferkirche, die mit ihren zwei markanten Türmen das Stadtbild des „anderen Murufers“ prägt und Touristen und Wallfahrer gleichermaßen anzieht. Sonntags werden in der Kirche vier Messen gefeiert, wochentags zwei.

KARTE DER ORGELN IM ANNENVIERTEL – GRAFIK: MATTEO EICHHORN

Für die nötige musikalische Untermalung sorgt Herbert Bolterauer, Organist und Chorleiter der Mariahilferkirche. Der Musiker war schon in jungen Jahren von dem Instrument fasziniert: „Schon als Ministrant sah ich begeistert nach oben zur Orgel. Ich konnte aber erst darauf spielen, als meine Beine lang genug für die Pedale waren.“ Anfangs begeisterte ihn am meisten die Gewalt des Instruments: „Mit nur einem Tastendruck löst man etwas Gewaltiges aus, der riesige Raum wird gefüllt.“

„Man muss nicht unbedingt religiös sein, um Orgel zu spielen“, meint Bolterauer, Kurzhaarschnitt und spitze Organistenschuhe für das Betätigen der Pedale. „Man sagt immer, die Orgel ist ein Kircheninstrument. Aber objektiv gesehen ist die Orgel ein Instrument wie jedes andere. Was für mich zählt, ist die Musik.“

 


HERBERT BOLTERAUER SPIELT „ENGEL“ AUF DER ORGEL DER MARIAHILFERKIRCHE. ORGEL: HERBERT BOLTERAUER; BASSBARITON: ULF BÄSTLEIN – AUDIO: ABENDMUSIKEN MARIAHILF

 

Bürgerspitalskirche: Geschliffen wie ein Diamant

Die wohl wertvollste Orgel im Annenviertel steht in der Bürgerspitalskirche. Das Positiv (der Teil, der mit den Händen bespielt wird) wurde im Jahr 1777 erbaut und ist somit das zweitälteste in Graz. Das Presbyterium, also die Vorderseite der Kirche rund um den Altar, ist wie ein Diamant geschliffen, dadurch bietet die Kirche für die Orgel eine besondere Akustik.

Anders als der Name vermuten ließe, befand sich in der Bürgerspitalskirche nie ein Krankenhaus. “Das Bürgerspital war eine der ersten Formen von Altenversorgung: Wohltäter zahlten Geld in eine Stiftung ein, als Gegenleistung sollten die Zöger, also die Insassen des Bürgerspitals, für deren Seelenheil beten. Das Bürgerspital erstreckte sich vom Kalvarienberg bis Steinfeld, auch heute noch findet man Spuren davon”, erklärt Dr. Leo Kronberger.

Dr. Leo Kronberger ist hauptberuflich leitender Oberarzt und Chirurg an der Universitätsklinik und Oberleutnantsarzt beim Bundesheer, in seiner Freizeit bringt er sich in die Kirche ein. So organisierte er zum Beispiel 12 Orgelkonzerte während des Kulturhauptstadtjahres. Ein Kircheninterner bezeichnet ihn als „graue Eminenz, die bei den Orgeln im Hintergrund die Fäden zieht“.

Er ist auf medizinischem wie auf theologischem Gebiet extrem gebildet, er liebt es zu diskutieren und mit seiner Meinung anzuecken. “Ich kann auch ganz schön giftig werden, wenn es sein muss. Aber Kirche funktioniert nur, wenn man sich selbst zurücknimmt und die Idee in den Vordergrund stellt.”

Die Orgel wird zurecht Königin der Instrumente genannt. Im Annenviertel handelt es sich dabei jedoch meist nur um Prinzessinnen. Sie werden von einem großen Tross an Leuten betreut und für den teuren Unterhalt bleibt oft zu wenig Geld übrig. Doch das alles wird schnell vergessen bei ihrem wahrhaft königlichem Klang.

Österreicher, Italiener und Europäer mit südländischem Temperament. Hat eine Schwäche für Marzipan, Fremdsprachen und gelbe Autos.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

4 × 2 =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorherige Geschichte

„Wir wollen den Pessi_mismus in die Welt bringen!“

Nächste Geschichte

Endstation Knast?

Letzter Post in VIERTEL(ER)LEBEN