In den vergangenen Monaten sorgte die türkis-blaue Regierung mit ihrem Überwachungspaket 2.0 österreichweit für Aufregung und massive Kritik. Auch in Graz wurden gestern bei einer Demonstration zahlreiche Stimmen gegen das Vorhaben laut.
4. April, 17:00 Uhr: Der Mariahilferplatz füllt sich mit zahlreichen DemonstrantInnen. Aus der Menschenmenge stechen einem bunte Schilder ins Auge. „Freiheit stirbt mit Sicherheit” oder „Überwacht die Überwacher” steht auf ihnen geschrieben. Vereinzelt hört man Trillerpfeifen. Auch einige prominente Gesichter sind in der Menge zu entdecken, wie etwa NEOS Landessprecher Niko Swatek, Peter Drechsler, Sprecher der sozialistischen Jugend Steiermark, oder die Grüne Bundesrätin Ewa Dziedzic. Die – laut Polizei – 500 gemeldeten DemonstrantInnen machen sich auf den Weg, marschieren über den Hauptplatz Richtung Tummelplatz und rufen: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Daten klaut!”
Auf die Beine gestellt wurde die Demonstration von Daniel Lohninger von epicenter.works, einer Organisation mit Sitz in Wien, die gegen Überwachung und für das Grundrecht auf Privatsphäre eintritt. Seit einem Jahr ist die NGO auch in Graz aktiv. Tatkräftig unterstützt wurde er vom Team der CryptoParty Graz, einem Forum, das 2013 von Stefan More und Marc Pietkiewicz gegründet wurde. ExpertInnen zeigen bei Vorträgen Gefahren im Internet auf und geben Tipps, um sich vor digitaler Überwachung zu schützen. Bei den monatlichen Treffen im Spektral werden auch netzpolitische Themen diskutiert. In Vorbereitung auf die Demo gestalteten sie Plakate und schrieben Reden für die Kundgebungen. Das Team der CryptoParty Graz steht bereits seit letztem Jahr mit Lohninger in Kontakt. „Kennengelernt haben wir uns bei den Protesten zum Überwachungspaket von 2017 – seitdem arbeiten wir recht eng zusammen, da wird in Zukunft auch noch mehr Vernetzung stattfinden“, sagt Lohninger.
Kritische Stimmen aus dem Annenviertel
Im Februar stellte die Regierung ihr neues „Sicherheitspaket” vor, das, laut Lohninger, die Grundrechte der Menschen massiv beschneiden würde. Er und die Mitglieder der CryptoParty stehen den Vorhaben äußerst skeptisch gegenüber. Kernpunkte des Pakets sind neben der Überwachung verschlüsselter Nachrichten – also der Einsatz des sogenannten Bundestrojaners – die Ausweitung optischer und akustischer Überwachung, sowie die Nutzung von Videoüberwachung zur Verfolgung von Straftaten. „Besonders kritisch an dem Überwachungspaket ist beispielsweise, dass der Bundestrojaner Sicherheitslücken eines Betriebssystems ausnutzt. Der Überwachte merkt das dann aber gar nicht und kann im Nachhinein auch nicht nachprüfen, ob er „befallen“ wurde”, erklärt Lohninger. Laut Gesetzesentwurf können die Sicherheitsbehörden in Computersysteme jeder Person oder jeder Firma einbrechen, von denen sie annehmen, dass diese mit Verdächtigen kommunizieren.
Es ist vorgesehen, dass Behörden Zugriff auf die Video- und Tonüberwachung aller öffentlichen und privaten Einrichtungen erhalten, denen ein öffentlicher Versorgungsauftrag zukommt. Des weiteren soll die Kennzeichenerfassung auf österreichischen Straßen ausgeweitet werden und auch eine Beschränkung des Briefgeheimnisses ist vorgesehen. Bis jetzt ist das Beschlagnahmen von Briefen zulässig, wenn es zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen Straftat, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, beiträgt und wenn sich der Beschuldigte wegen einer „solchen Tat in Haft befindet oder seine Vorführung oder Festnahme deswegen angeordnet wurde“. „Jetzt wird einfach genau dieser Passus, wo es um die Haft geht, gestrichen – und somit ist das Briefgeheimnis quasi aufgehoben“, meint Lohninger.
Die Frist für das Begutachtungsverfahren des Überwachungspakets im Parlament endete am 28. März. Heute wird es im Innen- und Justizausschuss behandelt. Nach Regierungswunsch soll das Paket möglichst noch im ersten Halbjahr 2018 im Parlament beschlossen werden und der Großteil der Maßnahmen mit 1. Juni in Kraft treten.
„Überwachung gefährdet unsere Demokratie”
Kritisch sehen Lohninger und Pietciewicz auch, dass im Paket nicht evaluiert wird, wie viel Überwachung in Österreich bereits geschieht, und wie viel tatsächlich notwendig ist. „Ein Argument, das von den Politikern gerne hergenommen wird, um die Notwendigkeit der Maßnahmen zu erklären, ist die Terrorbekämpfung. In Deutschland und Frankreich hat man aber gesehen, dass trotz der massiven Überwachung mit Kameras Anschläge nicht verhindert werden konnten”, meint Lohninger.
Im österreichischen Parlament fürchten die Liste Pilz, SPÖ und NEOS massive Einschränkungen in Grund- und Freiheitsrechte. Bereits 2017 wollte die ÖVP viele von den bereits genannten Maßnahmen umsetzen, scheiterte schlussendlich aber am Widerstand der SPÖ. Und schon damals gab es – wie auch bereits in den letzten Wochen – massive Kritik seitens Amnesty International, Rechtsanwaltskammer und anderen ExpertInnen. Die FPÖ und Herbert Kickl, die 2017 gegen das Sicherheitspaket waren, begründen ihren Sinneswandel nun damit, dass man das „subjektive Sicherheitsgefühl“ der Bevölkerung stärken wolle. Mit dem „subjektiven Sicherheitsgefühl” können Lohninger und Pietciewicz wenig anfangen: „Besonders aufgefallen ist uns, dass seitens der Regierung argumentiert wird, mehr Sicherheit bedeute gleichzeitig weniger Freiheit. Aber man muss bedenken, dass es zum Beispiel, für Journalisten massiv erschwert, ja beinahe unmöglich gemacht wird, anonym zu arbeiten. Das ist für die Demokratie äußerst gefährlich.“
Graz demonstriert
Impressionen der Demonstration am 04.04.2018 – Video & Schnitt: Melanie Grundner