credits by Philipp Hörmann

Annenviertel à la carte – Tourismus in 8020

Lesezeit: 5 Minuten

Was geschieht einem Touristen, den es auf das rechte Murufer verschlägt? Die Annenpost wagte den Selbstversuch und bummelte mit Strohhut und Kamera durch den hippen und multikulturellen Westen von Graz.

Von: Philipp Florian Hörmann und Katrin Jaritz

Der Tourismus in Graz boomt. Jahr für Jahr strömen immer mehr Besucher in das flauschige Städtchen an der Mur, um den mediterranen Flair und die erlesene Küche zu genießen, sowie historische und moderne Bauwerke zu bewundern. Wenngleich sich die Hauptlast des touristischen Ansturms auf die Innere Stadt konzentriert, verirrt sich – spätestens seit Errichtung des Kunsthauses anno 2003 – ab und an auch mal ein Städtereisender auf die westliche Seite der Mur. Doch welche Attraktionen gibt es im Annenviertel zu entdecken? Und wie wird Besuchern das westliche Murufer vom städtischen Tourismusbüro präsentiert? Gleich wie ein Panda im Zoo hat man als Annenviertler oft gar keine Ahnung, was die Leute hinter der großen Glasscheibe eigentlich so interessant finden. Deshalb zog sich ein Reporterduo der Annenpost weiße Tennissocken und Sandalen sowie kunterbunte Hawaiihemden an und machte sich mit dem Stadtplan in der Hand auf eine touristische Entdeckungstour.

Raus aus dem Zug, rein in die Stadt

Das größte Einfallstor der touristischen Scharen befindet sich im Herzen des Annenviertels – der Hauptbahnhof. Dort gibt es auch ein kleines Infobüro der ÖBB, in dem neben den Zugfahrplänen eine ganze Wand voll Hochglanzbroschüren zu finden ist. In diesem Dschungel aus Stadtplänen und Prospekten scheint es für jeden Geschmack etwas zu geben: So kann man etwa an einer Kernölverkostung teilnehmen, mit einem Segway durch die Stadt flitzen, oder bei Vollmond den Schlossberg erklimmen.

Alt und jung, reich und weniger reich, gemütlich und abenteuerfreudig: Für jeden hat Graz anscheinend etwas zu bieten – Foto: Philipp Hörmann

Während sich die farbenfrohen Heftchen von Graz Tourismus – dem offiziellen städtischen Tourismusbüro – dem Eindruck nach eher an reichen, alten Gemütlichkeitstouristen orientieren, gibt es auch eine aufgeweckte Alternative: Die bunt illustrierte „Use – It Map“ richtet sich speziell an junge und junggebliebene Reisende, die sich abseits des Mainstreamtourismus ein authentisches Bild der Stadt machen wollen. Erstellt wird sie Jahr für Jahr von echten Grazerinnen und Grazern, die exklusiv ihre heißesten Insidertipps preisgeben.

Neben allerhand Shop- und Restaurantempfehlungen bietet diese hippe Karte auch eine empfohlene Flanierroute durchs Annenviertel, um etwas über „moderne Architektur, wohltätige Design Shops, Bauernmärkte, Revitalisierungsprogramme, Gemeinschaftsprojekte und jüdische Geschichte“ zu erfahren. Wir finden, dass dies vielversprechend klingt, und machen uns kurzerhand auf zur Murinsel, die – zumindest der Postleitzahl nach – zum Annenviertel gehört und den Startpunkt der Route markiert.

Kunsthaus – avantgardistische Architektur oder Schandfleck?

Um das Erlebnis als Tourist perfekt zu machen, verlaufen wir uns auf dem Weg dorthin allerdings dreimal. Irgendwann erblicken wir am Murufer ein skurriles blaues Gebäude mit Dachfenstern, die wie Tentakel in den Himmel ragen. Ein Blick in den Reiseführer offenbart: Dies ist das sogenannte Kunsthaus.

Nicht nur unter Einheimischen wirft das “Friendly Alien“ geschmackliche Gräben auf – auch unter Touristen löst das extraordinäre Bauwerk gemischte Gefühle aus. In der Broschüre von Graz Tourismus heißt es: „Das spannende Spiel zwischen dem neuen Gebilde am Murufer und dem alten Uhrturm auf dem Schlossberg wird zum Markenzeichen dieser Stadt und zeigt das produktive Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Avantgarde.“ Auch in vielen Reiseführern, etwa jenem des weltbekannten Verlags Lonely Planet, wird das Kunsthaus noch vor dem Uhrturm als die absolute Top-Attraktion von Graz gelistet. Im Ranking der Webseite TripAdvisor, wo Besucher Sehenswürdigkeiten mit einem bis fünf Sternen bewerten können, liegt das Kunsthaus hingegen auf dem abgeschlagenen 23. Rang im Graz-Ranking – einen Platz hinter der Shopping City Seiersberg. User “dsokolov“ aus Halifax, Kanada schreibt etwa in seiner Bewertung: „Das Kunsthaus ist das mit Abstand hässlichste Gebäude von Graz. Es ist ein Fremdkörper, dessen Dachstummel wie amputierte Tentakel wirken.“ Sein  Tipp: „Besser abreißen und Bäume pflanzen! Oder von mir aus auch Betonmischsilos hinstellen – immer noch besser.“

Wie auch immer man zum Design des Kunsthauses stehen mag – fest steht, es ist einer der wenigen Orte in Graz, an denen Studierende eine satte Ermäßigung erhalten (und das, obwohl sich die Stadt in ihren Reiseführern ganz stolz als junge Studentenstadt deklariert): „Für Studenten kostet die Eintrittskarte 3,50€“, erklärt uns der freundliche Kassier, „der Normalpreis liegt bei 9,50€.“

Spaziergang durchs Hipsterviertel und den Multikultibezirk

Statt für moderne Kunst geben wir dieses Geld aber lieber für eine erfrischende Kräuterlimo im Murinselcafé aus, um uns für die bevorstehende Sightseeing-Tour zu stärken. Diese im Fluss schwimmende Stahlkonstruktion ist an sich ist schon ein beliebtes Fotomotiv, die wahre Attraktion sind jedoch die Toiletten an Bord: Durch die reflektierenden Wände wird der Gang zum stillen Örtchen zu einem Ausflug ins Spiegelkabinett.

Die Herrentoilette auf der Murinsel – Foto: Philipp Hörman

Auf der anderen Straßenseite wartet die schnicke Hipsterhochburg von Graz: Das Mariahilferviertel. Trendige Bars reihen sich an hippe Design Stores. Nach dem Verzehr eines g’schmackigen Philly Cheese Steak Sandwichs kann man gleich peppige Umhängetaschen aus recycelten LKW-Planen kaufen.

Weiter geht’s zum Lendplatz, um den dortigen Bauernmarkt zu besichtigen. Nachdem wir uns eine Bio-Karotte von einem lokalen Landwirt zur Stärkung gegönnt haben, führt uns die Karte in Richtung Annenstraße. In der Beschreibung liest man über die glorreiche Vergangenheit dieser einstmals lebhaften Einkaufsstraße. Umso trostloser wirken nun die vielen leeren und verstaubten Schaufenster.

Vom hippen Trendviertel Lend geht es nun in den Multikultibezirk Gries. Zunächst merkt man davon allerdings nicht allzu viel: Rund um die St. Andräkirche besticht die Gegend mit einem schönen, kleinen Park und regelrechtem Dorfcharakter. Nur wenige Straßen weiter ändert sich dies schlagartig: In der Rösselmühlgasse passiert man innerhalb einer einzigen Gehminute gleich acht Kebapläden. Spätestens am Griesplatz steht fest: Diese in der Use-It Map beschriebene Sightseeingtour ist wahrhaft alles andere als touristischer Mainstream. Passenderweise heißt es in der Beschreibung: „Der Griesplatz ist vielleicht keine typische Sehenswürdigkeit, ist aber aus einem kulturellen und städtischen Blickwinkel ziemlich interessant: In der Nachbarschaft finden sich afrikanische, karibische, türkische und Balkan-Gemeinden.“  Gleich um die Ecke steht zudem die Grazer Synagoge. Am Fuße des im Jahre 2000 eingeweihten jüdischen Gotteshauses endet die Flanierroute.

Genussvoll speisen und entspannt nächtigen

Bei so viel Sightseeing wird das Bäuchlein mit der Zeit hungrig. Zum Glück sind Restaurantempfehlungen in sämtlichen Reiseführern so zahlreich zu finden wie argentinisches Bio-Rinderhack im Burger-Patty eines trendigen Streetfood-Lokals. Im Lend und Gries liegt da natürlich der Schwerpunkt auf der multinationalen Haute Cuisine – aber immer zu einem vertretbaren Preis! So kann man etwa in der Scherbe „um den kulinarischen Globus reisen“, im Caylend „wartet eine genussvolle Fusion aus Exotischem und Steirischem” auf die Gäste und im Vina „spiegelt sich die kulinarische Vielfalt der vietnamesischen Streetfood-Küche und das Farbenspiel eines exotischen Obst- und Gemüsemarkts wieder“. Darüber hinaus findet man griechische, afrikanische, italienische, japanische, türkische, arabische, bosnische, syrische, thailändische, US-amerikanische, hawaiianische und sogar steirische Küche. Oder einen Mix aus alledem.

Werden einem schließlich nach einem langen Tag die Augenlider schwer, muss man nicht erst die Mur überqueren, um ein gemütliches Bett zu finden. Auch im Annenviertel gibt es zahlreiche Nächtigungsbetriebe: 16 Hotels, ein Hostel, zwei Gasthöfe, eine Pension, elf Appartments, ein Studio und eine Ferienwohnung, um genau zu sein. Zusammen verfügen sie laut einer Broschüre mit dem Titel “Übernachten in Graz – Alle Unterkünfte“ über exakt 3183 Betten. Da das Redaktionsbudget der Annenpost jedoch äußerst knapp bemessen ist, müssen wir auf eine Übernachtung im Hotel verzichten und beenden den touristischen Selbstversuch mit dem Sonnenuntergang.

Alle (offiziellen) Sehenswürdigkeiten auf einen Blick

Mit dieser interaktiven Karte könnt ihr nun selbst virtuell das Viertel bereisen: Durch einen Klick auf die blauen Icons seht ihr ein Bild und eine kurze Beschreibung sämtlicher Attraktionen im Annenviertel, die wir in den Reiseführern über Graz gefunden haben. Viel Spaß!

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