Foto: Melbinger

25 Jahre VinziDorf: „Das Wichtigste ist Courage“

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Ein Gespräch mit Peter Pratl, Obmann der Vinzenzgemeinschaft Eggenberg, über die Not, die das ganze Jahr über präsent ist und darüber, warum es ein VinziDorf für Frauen braucht.

Als das VinziDorf 1993 im Bezirk St. Leonhard entstand, war der Widerstand der Bevölkerung groß, erzählt Peter Pratl, der seit elf Jahren ehrenamtlich der Vinzenzgemeinschaft vorsteht. Die Leute wollten keine alkoholkranken Obdachlosen als Nachbarn. „Nur durch großartige Überzeugungsarbeit konnten der Pfarrgemeinderat in St. Leonhard und letztendlich die Bevölkerung umgestimmt werden, dem Projekt eine Chance zu geben.“

Heute, 25 Jahre später, ist all das kein Thema mehr. 33 Männer leben in den eigens adaptierten Baucontainern des Dorfes. Anders als in anderen Einrichtungen für Obdachlose dürfen die Männer im VinziDorf auch Alkohol trinken. Die Sucht der Bewohner zu bekämpfen, sehen die Betreiber nicht als ihre Aufgabe. „Wenn man selbst nicht alkoholkrank ist, versteht man nicht, wie schwer es ist, auf Dauer ohne Alkohol durchzuhalten“, sagt Pratl. In der Regel verläuft das Zusammenleben problemlos. Falls es doch einmal ein gröberes Problem gibt, wird über den Unruhestifter für einen bestimmten Zeitraum ein Dorfverbot verhängt.

Im VinziDorf ist Alkohol nicht verboten – Foto: VinziWerke

Das VinziDorf als Zuhause

Der Alltag im VinziDorf hat sich in den 25 Jahren nicht wirklich verändert, meint Pratl. Die Bewohner bekommen täglich zwei Mahlzeiten gratis, davon eine warme am Abend. Das Areal jederzeit zu verlassen, steht ihnen frei. Im Aufenthaltsraum treffen sich die Männer, um Karten zu spielen, zu tratschen oder einfach nur um Zeit zu verbringen. Lediglich die Nachtruhe ab 22 Uhr müssen sie einhalten. Zwei hauptberufliche MitarbeiterInnen und Ehrenamtliche betreuen die Bewohner und unterstützen sie zusätzlich in finanziellen und gesundheitlichen Anliegen.

Dass ein Projekt wie das VinziDorf auch heute noch nicht selbstverständlich ist, zeigt das Wiener VinziDorf, das eben erst seine Pforten geöffnet hat. Neun Jahre lang dauerte der Rechtsstreit mit den Anrainern, die nicht wollten, dass auf dem Lazaristenareal gebaut wird. „Viele glaubten, dadurch würden noch mehr Obdachlose in der Gegend herumlungern. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Menschen, die in Not sind, begeben sich freiwillig in die Unterkunft. Dort können sie auch langfristig bleiben“, sagt Pratl. Was ihn ärgert, ist, dass künftig ein drei Meter hoher Zaun das Dorf abschirmen muss. „Damit die Dorfbewohner rundherum keinen stören“, erklärt er sichtlich enttäuscht.

Obmann Peter Pratl spricht über 25 Jahre VinziDorf – Foto: Natascha Breitegger

Peter Pratl und der Blick zurück

Er selbst zog 1986 mit seiner Familie in die Pfarre St. Vinzenz und ließ dort auch seinen Sohn von Vinzenz-Pfarrer Wolfgang Pucher taufen. Vier Jahre später begannen junge, engagierte Gemeindemitglieder mit Aktionen, um armen Menschen zu helfen. Sie riefen die Vinzenzgemeinschaft Eggenberg ins Leben, als ein Teil der größten Laienorganisation weltweit. Pratl wurde Pfarrgemeinderat und da Pfarrer Pucher damals gerade auf der Suche nach einem neuen Obmann für die Vinzenzgemeinschaft war, fragte er Pratl. „Nachdem ich ein paar Tage überlegt habe, gab ich dann das ‚Ja‘.“ Bereits 37 weitere VinziWerke, unter anderem in Graz, Wien oder im slowakischen Hostice, kamen zur ersten Einrichtung, dem VinziBus, dazu. Seit 1991 steht er allabendlich an drei verschiedenen Orten in Graz bereit und bietet den Hilfsbedürftigen Tee und Brote an.

Pratl, der hauptberuflich als Jurist bei der Arbeiterkammer arbeitet, denkt noch lange nicht ans Aufhören. Zu tun bleibt genug. Denn täglich beherbergen die Einrichtungen bis zu 450 Menschen und versorgen an die 1400 Menschen mit Essen. „Lieber wäre es mir natürlich, wenn es keine Obdachlosigkeit mehr gäbe und wir nicht gebraucht würden. Aber das ist leider eine Wunschvorstellung. Diese Leute sind allein nicht in der Lage, zu überleben.“

„Diese Leute sind allein nicht in der Lage, zu überleben.“

Hinschauen, nicht wegschauen

Durch Großspenden und eigene Erträge, die zum Beispiel der VinziMarkt bringt, kann sich der Verein gut über Wasser halten. Mehr als 750 Ehrenamtliche engagieren sich jährlich in der Vinzenzgemeinschaft, um Menschen in Not zu helfen. Da, wie Pratl erklärt, von öffentlicher Hand zu wenig Geld für Personal zur Verfügung gestellt werde, sei man auf die Ehrenamtlichen dringend angewiesen. Wer sich selbst engagieren will, meldet sich am besten direkt in der Zentrale, dem VinziHaus. Dabei ist es jedem gleichgestellt, ob wann er in welcher Einrichtung mithilft. „Man braucht keine Qualifikationen. Das Wichtigste ist Courage“, so Pratl.

„Das Wichtigste ist Courage.“

Was in Graz dennoch fehle, sei ein VinziDorf für Frauen, sagt Pratl. Pfarrer Wolfgang Pucher setze sich dafür ein. Er will verhindern, dass Frauen, die obdachlos sind, in die Prostitution gedrängt werden. Männer, die obdachlos werden, hätten zu schwierigen Phasen einen anderen Zugang, würden auch einmal eine Nacht im Freien schlafen. Und auch wenn das medial manchmal so wirkt, ist Obdachlosigkeit auch kein saisonales Phänomen, das nur im Winter relevant wäre. „Obdachlosigkeit ist das ganze Jahr über präsent, Schlafmöglichkeiten und Spenden der Bevölkerung werden immer benötigt, das wird leider oft vergessen.“

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