Seit dem Vorjahr leben 800 Menschen in einem Wohnkomplex, der eingezwängt zwischen Eggenbergergürtel und ÖBB-Trasse liegt. Den mehr als 400 Kindern und Jugendlichen fehlt es an Spielplätzen und Rückzugsorten.
Die Bewohner*innen des Wohnblocks, der sich über die Adressen Eggenbergergürtel 50 bis 56c erstreckt, versuchen das Beste aus dem knappen Platz herauszuholen: Eine Familie hat ein Trampolin in ihrem kleinen Vorgarten aufgestellt, das dort praktisch den ganzen Raum ausfüllt. Ein weiteres Trampolin ist im Stiegenhaus geparkt. 220 Wohnungen beherbergt der 2019 bezogene Wohnkomplex für an die 800 Bewohner*innen, der hier in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs zwischen Gürtel, Gleise und ein Umspannwerk gequetscht wurde. Die gemeinschaftlichen Spielplätze sind sehr bescheiden bemessen: Auf einem schmalen Grünstreifen, parallel zu den Gleisen, steht ein einfaches Holzgerüst, an dem zwei Schaukeln befestigt sind. 60 Meter davon entfernt gibt es eine Sandkiste. Ausblick: die Schallschutzmauer, die den Gleiskörper abtrennt. Das war’s dann auch schon mit Freizeitinfrastruktur für die 421 Kinder und Jugendlichen, die hier leben.
Einsatz an vielen Fronten
Betritt man den Innenhof der Siedlung, der von vier fünfstöckigen Riegeln begrenzt wird, legt sich der Lärm des Eggenbergergürtels, über den der Verkehr vierspurig braust. Eine Oase tut sich hier dennoch nicht auf: Die Grünflächen des Hofs sind bei unserem Besuch Ende Oktober mehr braun als grün, vermüllt, und mehr oder weniger intakte Kinderfahrräder liegen über das ganze Gelände verstreut. „Das passiert bei 500 Kindern, denen fad ist und denen man nichts zu tun gibt”, kritisiert Tristan Ammerer, Grüner Bezirksvorsteher im Gries. “Das braucht wirklich niemanden zu wundern!“
Ammerer hatte zuvor schon einmal auf Twitter seinem Ärger über die “Raumplanung in #Graz” Luft gemacht: “Ich war dort zu Besuch. Wenn sich 500 Kinder einen Hof teilen müssen… Ohrenbetäubend.”
Unterstützung von Außen
Dabei sind Vereine wie Jugend am Werk oder das Friedensbüro von Anfang an in der Siedlung präsent, um die Kinder zu beschäftigen und die Wohnqualität zu heben. Das Friedensbüro wurde von der Hausverwaltung engagiert, um bei der Nachbarschaftsbildung zu unterstützen und den Bewohner*innen zum Beispiel das Thema Mülltrennung im Rahmen einer “Müllaktionswoche” näherzubringen. Anfang des Jahres veranstaltete das Friedensbüro gemeinsam mit aktiven Bewohner*innen auch einen “Siedlungsbrunch”. “Um Aktivitäten zu setzen, die den Menschen ermöglichen, einander kennenzulernen, sich vielleicht gegenseitig zu unterstützen. Da sehen wir unsere Rolle als Brückenbauer*innen”, sagt Ursula Hauszer vom Friedensbüro.
Jugend am Werk (JaW) hatte sich bereits vor Fertigstellung des Baus an die Hausverwaltung gewandt und aufgrund guter vorheriger Zusammenarbeit auf einen möglichen Bedarf hingewiesen. “Wir hatten die Hypothese, dass die hohe Dichte für Kinder und Jugendliche einfach eine gewisse Herausforderungen birgt. Also dass Kinder wenig Spielmöglichkeiten und Jugendliche keine Rückzugsorte haben“, sagt Nicolette Bauer, die für JaW das Projekt am Eggenbergergürtel leitet. Dank finanzieller Unterstützung des Bezirksrats [Nachtrag vom 2.12. auf Wunsch des Friedensbüros: und des Wohnungsamts] hat im Sommer daher einmal wöchentlich das Spielmobil von Fratz Graz Halt in der Siedlung gemacht. Dennoch ist das Angebot bescheiden, das meint auch Bauer. „Es ist eine Siedlung mitten am Gürtel, wo eben nicht gleich daneben ein Park ist. Und vom Platz her gibt es in so einem Innenhof nicht so viele Auslaufmöglichkeiten, Bäume und Spielgeräte wie im Stadtpark.“
Drastischer sieht Bezirksvorsteher Ammerer die Situation. „Wie man auf die Idee kommt, dass man zwischen der dichtest befahrenen Straße von Graz und der Hauptzuglinie derart viele Wohnbauten reinquetscht, ist mir schleierhaft.“ Ammerer stellt die gesamte dichte Wohnbauwidmung entlang des Gürtels infrage. Ein Freund von ihm habe einmal zwei Häuser weiter gewohnt, der habe beklagt, dass er zum Gürtel hinaus niemals lüften konnte. Aber das Hauptproblem, das man dann auch in Angriff genommen habe, wären die Kinder und die mangelnde Spielausrüstung gewesen, stellt Ammerer klar. „Das Jugend- und Sozialamt haben heuer vor allem im Sommer intensiv dort betreut, weil sie die extreme Lage dort ganz richtig erkannt und sofort Ressourcen dafür aufgestellt haben. Es wurde auch der Bauträger nochmal in die Verpflichtung genommen, sich zu beteiligen. Und da wird der Bezirk natürlich auch dazu sponsern.”
Zwangspause
Während des Lockdowns haben nun auch die Angebote von JaW und Friedensbüro Auszeit. Immerhin gibt es eine WhatsApp-Gruppe, über die aktuelle Informationen mit Bewohner*innen, die sich freiwillig gemeldet hatten, ausgetauscht werden. Unter anderem werden die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus mehrsprachig im Chat geteilt, da es unter den Bewohner*innen einen sehr hohen Migrant*innenanteil gebe. Der Lockdown zurzeit sei leider ein Problem, meint Frau Bauer, aber man werde, “sobald es möglich ist, wieder einmal wöchentlich in die Siedlung kommen und für die Leute da sein”.