Über Wohnungslosigkeit wird gerne geschwiegen – insbesondere wenn Frauen betroffen sind. Dabei hat die Pandemie die Situation von Frauen in Not noch einmal verschärft.
Von: Anja Treitler, Julia Schöttel
„Es ist eine riesige Gelegenheit, dass das Thema weibliche Wohnungslosigkeit in einem öffentlichen Rahmen präsentiert wird.“ Klaus Resch’s Freude über die Ausstellung „Ich bin da. Wohnungslosigkeit ist auch weiblich“ in der Camera Austria ist groß. Gemeinsam mit vier Mitstudierenden hatte er von Februar bis März im Zuge seines Studiums Soziale Arbeit an der FH Joanneum die Ausstellung zuerst in der off_gallery in der Griesgasse gezeigt. Nun wandert sie im Rahmen des Projekts „Die Stadt und das gute Leben“ zur Camera Austria ins Kunsthaus.
Gemeinsam mit Andrea Knafl von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAWO) hat Resch den Umzug vorbereitet, eröffnet werden sollte eigentlich schon im November. Die Ausstellung gibt einen Überblick darüber, was es bedeutet, als Frau wohnungslos zu sein. Zu sehen gibt es Infoplakate und eine Sammlung von Zitaten von Betroffenen, mit denen die Projektgruppe im Vorfeld Interviews geführt hat.
Couchsurfing als erste Wahl
Scheidung, häusliche Gewalt, psychische Probleme: Die Gründe, warum Frauen in die Wohnungslosigkeit rutschen, sind vielfältig. Im Oktober 2016 gab es in Graz 1810 erfasste Wohnungslose, 27 % davon waren Frauen. Das ergab eine Studie der BAWO im Auftrag der Stadt Graz. Viele der Betroffenen suchen nicht gleich Unterstützung, sondern leben vorerst “prekär”. Das bedeutet, dass sie meist bei Bekannten oder Verwandten unterkommen. Es kommt auch zu Zweckpartnerschaften. „Sexuelle Dienstleistungen oder das Erledigen von Aufgaben im Haushalt gehen mit dieser Abhängigkeit oft einher“, erklärt Andrea Knafl, die auch Teamleiterin von Housing First ist. Erst wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft seien, kämen Betroffene zu ihnen.
Housing First unterstützt volljährige Frauen, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind. Voraussetzung ist, dass ihnen ein geregeltes Einkommen zusteht. Eine derartige Notlage kann schnell eintreten. „Ich habe schon Frauen ohne Pflichtschulabschluss, aber auch solche mit abgeschlossenem Studium betreut“, erzählt Knafl. Das Projekt von Jugend am Werk hilft diesen Frauen, wieder eine eigene Wohnung zu finden und eine stabile Lebenssituation herzustellen.
Wohnungslosigkeit kommt oft unerwartet
Neben Housing First gibt es mit der Caritas-Frauennotschlafstelle FranzisCa, zwei Einrichtungen der Vinziwerke – Haus Rosalie und VinziLife –, dem Frauenhaus Graz und dem Frauenwohnheim des Grazer Sozialamts weitere Anlaufstellen speziell für Frauen in unterschiedlichen Notlagen. Auch Verena Gallob, stellvertretende Leiterin von FranzisCa, hat die Erfahrung gemacht, dass Wohnungslosigkeit unerwartet eintreffen kann: „Da das Haus oder die Wohnung oft dem Mann gehört, kann der bei Problemen die Frau und auch die Kinder rauswerfen.“ Dies sei rechtlich möglich, wenn die Frau weder im Mietvertrag steht, noch ein Untermietverhältnis vorliegt, erklärt Michael Knizacek von der Arbeiterkammer Steiermark.
Die Corona-Krise könnte auch in diesem Bereich steigende Zahlen verursachen. Knafl rechnet im Zuge der Pandemie mit einem Anstieg von Delogierungen und mit Verschlechterungen von ohnehin schon prekären Wohnsituationen. Betroffene kommen aufgrund der Ansteckungsgefahr weniger leicht bei Freunden und Bekannten unter. Konkrete Zahlen zu Veränderungen aufgrund von Corona hat das Sozialamt Graz bisher nicht erhoben. Jedoch gab es im Frauenwohnheim des Sozialamts in der Hüttenbrennergasse heuer bereits bis Mitte Dezember über 1100 Nächtigungen mehr als im ganzen Jahr 2019. Das obwohl aufgrund des Corona-Sicherheitskonzepts nicht alle WG’s zur Verfügung standen. In der Notschlafstelle FranzisCa konnte bis dato hingegen keine erhöhte Nachfrage festgestellt werden.
Wohnen als Menschenrecht
Anders als männliche Obdachlosigkeit wird die weibliche im öffentlichen Raum kaum sichtbar. Weil es keine aussagekräftigen Statistiken dazu gibt. Und weil bei Frauen Wohnungslosigkeit insgesamt schambehafteter sei, erklärt Knafl. „Es gibt in der Gesellschaft eher die Annahme, dass es Wohnungs- und Obdachlosigkeit von Frauen schlichtweg nicht gibt“, so Sozialpädagogin Gallob vom Haus FranzisCa.
Beide Frauen sind sich einig, dass auch der teure Wohnungsmarkt ein Problem darstellt. Knafl sieht hier Verbesserungspotenzial: „Wohnen soll in Österreich als Menschenrecht betrachtet werden, nicht als Ware.“ Es sei paradox, dass es in Graz leere Wohnungen und gleichzeitig wohnungslose Menschen gebe.
Besonders wichtig ist es aber, öffentlich über weibliche Wohnungslosigkeit zu sprechen. „Wir wollen auf weibliche Wohnungslosigkeit aufmerksam machen und Klischees aufbrechen“, erklärt Klaus Resch das Ziel der Ausstellung. Im Begleitprogramm plant er diesmal auch einen Round-Table-Gespräch mit Vertreter*innen aus der Wohnungslosenhilfe. Nachdem Corona die Ausstellung im November verhindert hatte, musste die Eröffnung nun erneut und auf unbestimmte Zeit nach dem Lockdown verschoben werden.
Titelbild: Anja Treitler
Die Ausstellung „ICH BIN DA. Wohnungslosigkeit ist auch weiblich“ ist in der Camera Austria zu sehen. Das genaue Eröffnungsdatum wird noch bekanntgegeben.
Housing First, als Teil von Jugend am Werk unterstützt wohnungslose Frauen aus Graz bei der Wohnungssuche und der Herstellung einer stabilen Lebenssituation.
Tel.: 050/7900 2300
Die FranzisCa Notschafstelle hilft Frauen und ihren Kindern, die keine Bleibe für die Nacht haben oder wegen einer schwierigen Lebenssituation vorrübergehend eine Unterkunft benötigen.
Tel.: 0316 8015-742
Das Haus Rosalie bietet obdachlosen Frauen, deren Lebensmittelpunkt in Österreich ist eine vorübergehende Wohnversorgung.
Tel.: +43 316 / 58 58 06
Psychisch schwer belastete, obdachlose Frauen finden langzeitige Betreuung im VinziLife.
Tel.: +43 316 / 58 12 58