Die Glaskuppel der Grazer Synagoge trägt den David-Stern als Spitze.
Foto: Marlene Borkenstein

Vier Monate nach Synagogen-Angriff: Maßnahmen gegen Antisemitismus

Lesezeit: 4 Minuten

Im August dieses Jahres erschütterten Attacken gegen die Synagoge und den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Graz die Öffentlichkeit. Eine Recherche über die Folgen der Ereignisse, die auch international für Schlagzeilen sorgten.

Von: Marlene Borkenstein und Adela Danciu

Am Samstag, 22. August, war Elie Rosen gegen 18.10 Uhr mit dem Auto zur Synagoge am Grieskai gekommen. In dieser Woche hatte es zuvor bereits zwei Angriffe auf die Synagoge gegeben, für die Rosen als Präsident der Jüdischen Gemeinde Graz seit 2016 verantwortlich ist. Dienstagnacht waren pro-palästinensische Parolen auf die Mauern gesprüht worden, Freitagnacht wurden Betonstücke auf die Glasfassade der Synagoge geworfen. Am Samstag war der mutmaßliche Täter erneut vor Ort. Als Rosen ihn zur Rede stellen wollte, attackierte dieser Rosens Auto mit einem Stuhlbein.

Am folgenden Sonntag konnte der Täter nach einer Großfahndung der Polizei in der Annenstraße angehalten und festgenommen werden. Er gestand später nicht nur die ihm zur Last gelegten Vorwürfe, sondern auch weitere Sachbeschädigungen beim Verein Rosalila PantherInnen in der Annenstraße und einem Nachtlokal. Als Motiv gab der 31-jährige Syrer, der im Jahr 2013 nach Österreich gekommen war und jetzt in Untersuchungshaft sitzt, einen „abgrundtiefen Hass auf Israel und Juden sowie Schwule und Lesben, aber auch Prostituierte“ an. Auch deutsche, israelische oder britische Medien berichteten damals über die Attacken. Aber welche Folgen hatten sie für die Betroffenen?

Elie Rosen, Präsident der jüdischen Gemeinde, in seinem Büro in Graz.
Elie Rosen ist nach den jüngsten Geschehnissen wieder in den Alltag zurückgekehrt – Foto: Lena Wieser

Gesellschaftliche und persönliche Spuren

Für Elie Rosen waren diese Ereignisse im Rückblick in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, wie er erzählt: „Diese Anschläge haben gesellschaftliche sowie auch persönliche Spuren hinterlassen. Allerdings musste wieder ein Alltag einkehren und in diesem befinde ich mich gerade.“ Vor derartigen Szenarien habe man jahrelange gewarnt, die Ereignisse seien also nicht ganz überraschend gewesen. Auch der Terroranschlag in Wien oder der Angriff auf einen Rabbiner, ebenfalls in Wien, hätten an dieser Grundbefindlichkeit nichts geändert.  Und im europäischen Vergleich sei Österreich nach wie vor “ein Ort der Seligkeit”, wie Rosen sagt. Österreich sei aber jedenfalls durch die jüngsten Angriffe wachgerüttelt worden. Trotzdem sei die Situation der Juden in Österreich nicht vergleichbar wie zum Beispiel mit jener in Frankreich.

Solidarität mit der jüdischen Gemeinde

Nach den Angriffen war es in der Stadt auch zu Solidaritätsbekundungen gekommen. Noch in der Nacht des 22. August kamen Bürger*innen für eine mehrstündige Mahnwache zur Synagoge, zu der Tristan Ammerer, Grüner Bezirksvorsteher in Gries, aufgerufen hatte. Weitere Folge: Die Polizei zeigte Ammerer wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz an, weil die Mahnwache nicht angemeldet worden sei. Ammerer twitterte, er halte diese Vorgangsweise für “UNFASSBAR”, tatsächlich wurde die Anzeige mittlerweile eingestellt. Ammerer sei sehr geschockt über den Angriff gewesen, wie er sich heute erinnert. „Menschen jüdischen Glaubens können sich in Österreich und Deutschland nicht sicher fühlen. Viele von ihnen haben schon einmal mit dem Gedanken gespielt, nach Israel auszuwandern. Es wird nicht besser, es wird immer schlimmer.“

Menschen versammeln sich vor der Synagoge in Graz Bezirk Gries und veranstalten eine Mahnwache im Regen, nach dem Angriff auf die Synagoge und Elie Rosen
Die Menschen veranstalteten im Regen eine Mahnwache nach dem Angriff. – Foto: Lena Prehal

Sicherheit für die Synagoge

Nach dem Angriff war auch Kritik an der Polizei laut geworden, wie der Täter in einer Woche drei Angriffe auf die Synagoge hatte ausüben können. Schon unmittelbar nachdem die Polizei von den ersten Sachbeschädigungen gehört hatte, seien Streifen beauftragt worden, die betreffenden Orte verstärkt zu überwachen, sagt Polizeisprecher Fritz Grundnig auf Anfrage. Trotzdem kam es zu weiteren Sachbeschädigungen an der Synagoge und anderen Orten in Graz. Daraufhin wurde eine ständige Überwachung der Synagoge durch Zivilkräfte angeordnet. Die verdeckte Überwachung hätte am 22. August um 19 Uhr starten sollen, etwa eine Stunde davor kam es zum Angriff auf Rosen. „Der Angriff auf Präsident Rosen war absoluter Zufall und nicht gegen die Person des Präsidenten gerichtet. Der Tatverdächtige hat in seiner Einvernahme angegeben, nicht gewusst zu haben, wen er vor sich hatte“, sagt Grundnig.

Die Sicherheitsmaßnahmen wurden nach der Attacke überprüft und verstärkt. Dass Sicherheit allgemein ein kostspieliges Thema ist, wisse man sehr gut, wie Rosen erklärt. „Natürlich möchte man sich rund um die Uhr schützen“, so Rosen. Aber da dies nicht finanzierbar sei, müsse man eben mit den vorhandenen Mitteln den besten Schutz gewährleisten. Welche Maßnahmen genau getroffen wurden, dürfe er aus sicherheitstechnischen Gründen nicht genauer erläutern. Rosen meint, dass der Polizeischutz der Synagoge nicht nur nach außen hin Sicherheit signalisiere, sondern auch ein stärkeres Sicherheitsempfinden der jüdischen Gemeinde zur Folge habe.

Im September gaben die Stadt Graz und das Land Steiermark bekannt, eine halbe Million Euro in den Schutz der jüdischen Gemeinde sowie in Aufklärungsarbeit investieren zu wollen. Am 11. Dezember  präsentierten Stadt und Jüdische Gemeinde ein dreijähriges, 180.000 Euro schweres Maßnahmenpaket. Es sieht unter anderem Workshops und Seminare zum Judentum, Synagogenführungen sowie eine App zur Auseinandersetzung mit der jüdischen Religion vor.

Stärkerer Antisemitismus unter Zuwanderergruppen

Die 2018 im Auftrag des Parlaments durchgeführte Studie „Antisemitismus in Österreich“ hat gezeigt, dass in Österreich zehn Prozent der Bevölkerung manifeste und “dreißig Prozent latente antisemitische Einstellungen“ aufweisen. Die 300 Türkisch und Arabisch sprechenden Umfrageteilnehmer*innen stimmten antisemitischen Aussagen fast durchwegs stärker zu als die österreichische Gesamtbevölkerung. 76 Prozent der Arabisch Sprechenden und 51 Prozent der Türkisch Sprechenden seien der Meinung, dass Frieden im Nahen Osten herrsche, wenn es den Staat Israel nicht mehr gebe.

Aus diesem Grund stellte die Regierung nach dem Angriff auf die Synagoge Maßnahmen vor, um Antisemitismus unter Zuwanderergruppen entgegenzuwirken. Integrationsministerin Susanne Raab kündigte an, dass Deutschtrainer und Integrationsberater in Workshops ein Grundlagenwissen über Antisemitismus vermittelt bekommen sollen, um antisemitische Handlungen rascher zu erkennen. Außerdem ist geplant, das Projekt „Likrat“ der Israelischen Kultusgemeinde auszubauen. Jüdische Jugendliche besuchen da Schulen und erklären Gleichaltrigen Hintergründe über das Judentum.

 

Titelbild: Die Grazer Synagoge – Foto: Marlene Borkenstein

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