Der Club Hybrid von außen
Bild: Club Hybrid

Club Hybrid: Rein in die Nebelzone

Lesezeit: 3 Minuten

Die Hergottwiesgasse 157, eine freie Fläche zwischen Gries und Puntigam, wird 2021 zum Schauplatz eines urbanen Experiments. Was die Mitglieder des Club Hybrid in der „Nebelzone“ der Stadt genau vorhaben und wie sie sich auf die Umsetzung vorbereiten.

Zwischen Lagerhallen, einem Industriegebäude und vereinzelten Einfamilienhäuser, führt hier im Südwesten von Graz eine unscheinbare Einfahrt zu einer Wiese. Richtung Westen geht es zum Islamischen Kulturzentrum, schwenkt der Blick gegen Süden, sieht man qualmende Fabrikschlote. Gerade in den frühen Morgenstunden versteht man, warum die Leute vom Club die Gegend als „Nebelzone” bezeichnen. Paletten und Hochsitze am Rand des Grundstücks bezeugen, dass sich hier in naher Zukunft etwas tun wird. 

Brachliegende Flächen wie die in der Herrgottwiesgasse 157 sind in boomenden Städten wie Graz so selten wie begehrt. Wo Stadtkern und städtische Peripherie ineinanderfließen, stellt die Stadt Graz 5000 Quadratmeter Grund zur Verfügung. Dort will ein zehnköpfiges Team eine der größeren Aktionen des vom Grazer Kulturstadtrat Günter Riegler ausgerufenen Kulturjahres 2020 verwirklichen. Club Hybrid heißt das Projekt und was eigentlich mit den Beteiligten – Künstler*innen, Anrainer, Interessent*innen – von Angesicht zu Angesicht ausgehandelt werden sollte, findet derzeit und „coronabedingt” tatsächlich in hybrider Form statt. Jeden zweiten Dienstag gibt es auf Zoom Clubabende, in denen Teilnehmer*innen die Nachbarschaft virtuell erkunden. In Diskussion mit Akteur*innen zu den Themen Kunst, Kultur, Architektur und Politik soll sich so nach und nach eine interessierte Community aufbauen, während die Brache im Gries darauf wartet, endlich ganz analog bestellt zu werden.

Erfahrene Versuchsleiter*innen

Initiiert haben das Projekt die Architekten Heidi Pretterhofer und Michael Rieper, die beide ihr Architekturstudium in Graz absolviert haben. Rieper hat jede Menge Erfahrungen mit experimentellen Architekturen. Im Grazer Kulturhauptstadtjahr 2003 hat er bereits ein Wohngerüst an das Palais Thienfeld gebaut, in Linz 2009 ein gelbes Haus an die Stadtautobahn gestellt oder im selben Jahr, gemeinsam mit Siegfried Frank, dem Steirischen Herbst ein Sonnendeck als Festivalzentrum geschenkt. Auch Pretterhofer’s Handschrift lässt sich in Graz finden, für den Eggenberger Gürtel hat sie 2016 ein multifunktionales Gebäude entworfen. 

Probieren und Kombinieren im Demonstrativbau

„Im Juni ist es hoffentlich soweit. Dann soll hier ein ,Demonstrativbau‘ eröffnet werden”, sagt Michael Sladek. Er selbst kommt aus dem Kulturbereich und ist im Club Hybrid für die alltagstaugliche Übersetzung der Architekturkonzepte zuständig. Schon im Team lässt sich das Hybride erkennen. Jede*r bringt sich mit ihren/seinen Ideen ein. Der Bau, den sie dort errichten, sei ein Experiment, ein „Werkzeug”, sagt Sladek. Während der Spielzeit soll es täglich Veranstaltungen geben. Deren Spektrum reiche von Ausstellungen und Workshops bis hin zu gemeinsamen Fußballspielen. Laut Sladek geht es um’s Ausprobieren: „Was braucht man in dem Viertel? Was bräuchte moderne Stadtplanung?”

Der Club Hybrid unterscheidet sich von anderen urbanistischen Projekten, die oft als Zwischennutzungen angelegt sind, unter anderem dadurch, dass er, nachdem der Kulturzirkus weitergezogen sein wird, nicht wieder abgebaut werden soll. „Ziel ist es, etwas zu schaffen, das auf Dauer gut funktioniert, wo man sieht, das hat der Stadtteil gebraucht”, erzählt Sladek. Der Bau soll ein permanentes Stadtobjekt werden. Eine Idee wäre die Gründung einer Genossenschaft, die das Gebäude als Startkapital mitbekommt. 

Die freie Wiese in der Herrgottwiesgasse, wo der Club Hybrid entstehen soll.
Die Brache in der Herrgottwiesgasse. – Foto: Lena Lafer

Ankommen im Club

Bis es soweit ist, bleibt viel zu tun. Die Recherche des Projektteams ist längst abgeschlossen, die Nachbarschaft in der „Nebelzone” – so nennen die Beteiligten die Gegend im südlichen Gries – wird derweil weiter erkundet. Die ersten Informationsveranstaltungen gab es bereits Ende 2019, seitdem hat sich das Projekt an die neuen Gegebenheiten angepasst. In bisher 15 Club-Abenden wurden Wissen und Ideen zum Arbeiten, Produzieren und Leben im Demonstrativbau ausgetauscht.

„Wenn dann die Temperaturen wieder steigen, soll es mit den ersten Urban Gardening Projekten losgehen”, sagt Sladek, der im Rahmen des Lendwirbels in der Vergangenheit selbst jede Menge Erfahrungen mit urbanen Experimenten gesammelt hat. Zwischen März und April wird der Grundstein für den Rohbau gelegt, bevor das Experimentieren am 10. Juni so richtig losgeht. „Möglich soll dort dann vieles sein. Nicht nur Architekturinteressierte und die Bewohner des angrenzenden Triesterviertels sollen den Bau auf der Brache demonstrativ nutzen. Auch die Kreativwirtschaft, Sozialprojekte und Start-ups dürfen sich angesprochen fühlen. Prinzipiell wird niemand und nichts ausgeschlossen”, so Sladek. Mit offenem Blick sollen Grenzen und Möglichkeiten ausgelotet werden, damit aus unterschiedlichen bekannten Dingen, etwas ganz Neues entstehen kann. 

Die Randlage – südlich des Schaumbads, das bislang die kulturelle Peripherie im Süden beherrschte – bringt aber auch einige Herausforderungen mit sich. „Grazer*innen gehen wenig von ihren gewohnten Wegen ab”, so Sladek. Man müsse ihnen einen Grund dazu geben, die Herrgottwiesgasse 157 aufzusuchen. Wie gut das gelingt, wird der Sommer zeigen.

Club Hybrid

Aktuelle Informationen und Termine zu den Clubabenden gibt es hier

Eröffnung: 10. Juni 2021

Residencies und Programm: 11. Juni – 15. August 2021

 

Am Boden gebliebene Bergliebhaberin. Leseratte, die weder Käse noch Speck mag. Schlüpft beim Theaterspielen in viele Rollen, versucht aber authentisch zu bleiben.

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