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Grazer BürgerInnenbudget: Eine neue Form der Beteiligung

Lesezeit: 4 Minuten

Egal ob Stadtentwicklung, Umwelt oder Verkehr – Politik ist längst keine rein elitäre Veranstaltung mehr. Das erste BürgerInnenbudget in Graz bringt Beteiligung seitens der Bevölkerung auf eine neue Ebene.

Von: Adela Danciu und Chiara Wenig

Im Zuge des BürgerInnenbudgets konnten Bürger*innen im März und April 2021 auf der Plattform www.mitgestalten.graz.at erstmals ihre Ideen zu einem lebenswerteren Graz einbringen. Danach entschieden Mitarbeiter*innen des Referats für BürgerInnenbeteiligung, ob die insgesamt 434 Ideen überhaupt umgesetzt werden können. Ungefähr die Hälfte überstand den Grobcheck. In der nächsten Phase hatten Bürger*innen die Chance, den Ideen einen Like oder Dislike zu geben. Die Top 30 kamen in die nächste Runde und wurden von den städtischen Fachabteilungen im Detail überprüft. Bis zum 27. Juni können Bürger*innen nun in einer finalen Abstimmung für ihre Favoriten voten.

Straßenraum qualitätsvoller gestalten

Eine der Ideen, die für den Bezirk Lend eingereicht wurden, ist der “Innerstädtische Modellversuch: Schaffung von Aufenthaltsqualität im Straßenraum” von Martin Zettel für den Bezirk Lend. Er möchte einen Bereich zwischen der Annenstraße und dem Lendplatz als Modellversuch nutzen und darin den Straßenraum umgestalten. Durch seine Arbeit im Referat Gestaltung öffentlicher Raum im Stadtplanungsamt ist er vor allem für die Umgestaltung von Straßen zuständig. Ziel ist die Aufenthaltsqualität vor allem für Anwohner*innen zu verbessern. Eine Einbahnführung in Teilen der Marschallgasse verhindere laut ihm den Schleichverkehr von 2000 PKW pro Tag. Auch Baumpflanzungen für die Beschattung der Asphaltflächen im Sommer und Sitzgelegenheiten sind geplant.

Bänke und Tische sind auf einer Straße aufgestellt, viele Leute sind zu sehen.
Für das Straßenfest wurden Autos kurzerhand durch Bänke ersetzt. – Foto: Martin Zettel

„Eigentlich wollte mein Sohn die Idee für eine Spielstraße einreichen“, sagt Zettel. Weil das aber aufgrund der Altersbeschränkung nicht möglich war, fügte er einige Punkte hinzu und reichte die Idee selbst ein. Schon vor dem BürgerInnenbudget engagierte er sich privat. Jährlich organisiert Zettel in seiner Nachbarschaft ein Straßenfest mit Fahrverbot für Autos. In der Bevölkerung bemerkt er den Wunsch nach mehr Beteiligung. „Der Funke ist zu den Leuten übergesprungen“, sagt auch Wolf-Timo Köhler vom Referat für BürgerInnenbeteiligung der Stadt Graz. Dass so viele Ideen für das Budget eingereicht werden, hätte er nicht erwartet.

300.000 Euro für die Umsetzung

Für die Realisierung der Ideen stellt die Stadt Graz insgesamt 300.000 Euro zur Verfügung, das Budget für eine einzelne Idee darf dabei 100.000 Euro nicht überschreiten. Wenn beispielsweise für die bestplatzierte Idee 50.000 Euro und für den zweiten Platz 100.000 Euro nötig sind, bleiben für die restlichen Ideen 150.000 Euro aus dem Budget übrig. „Mit 100.000 Euro ist auch die Umsetzung von komplexeren Projekten möglich“, sagt Köhler. Es organisiert Informations- und Diskussionsveranstaltungen, um Grazer*innen in Planungsvorhaben der Stadt einzubinden. Köhler möchte das Projekt BürgerInnenbudget in Zukunft alle zwei Jahre durchführen.

Die Entstehung des Budgets

Die Idee eines BürgerInnenbudgets in Graz geht einige Jahre zurück. Bereits 2016 präsentierte die Piratenpartei ein BürgerInnenprojekt für Graz. 52 Projekte wurden eingereicht. Nachdem die Bürger*innen abstimmten, erfolgte die Umsetzung der Projekte mithilfe von insgesamt 60.000 Euro. Graz ist nicht die einzige Stadt in Österreich, in der ein solches Modell existiert. In Eisenstadt stellt die Stadtgemeinde dafür pro Stadtteil 35.000 Euro im Jahr bereit. In Frankreich startete Paris schon 2015 den Bürgerhaushalt in Höhe von 75 Millionen Euro. Mit diesem Geld wurden acht Initiativen gefördert.

Neben dem BürgerInnenbudget gibt es in Graz auch andere Formen der Beteiligung. Die Leitlinien für BürgerInnenbeteiligung wurden zwischen 2013 und 2014 von der Bevölkerung und Verwaltung gemeinsam ausgearbeitet. Sie geben an, über welche Vorhaben und anstehenden Projekte die Stadt Graz auf der Vorhabenliste informieren muss. Damit möchte sie mehr Transparenz im Prozess schaffen. Mit dem Beirat für BürgerInnenbeteiligung sind Bewohner*innen der Stadt Graz im Rathaus vertreten. Unter der Aufsicht des Rates für BürgerInnenbeteiligung ist dieser zum Beispiel für die Umsetzung der Leitlinien zuständig.

Umweltthemen als Vorreiter

Umweltthemen sind derzeit hoch im Kurs, auch beim BürgerInnenbudget. Neun von 30 Ideen, die in der ersten Abstimmung am meisten überzeugt haben, fallen in die Kategorie Umwelt und Natur. Auch Veränderungen im Bereich Freizeit und Sport liegen den Menschen am Herzen, sechs Ideen wurden zu diesem Thema eingereicht. Eine Idee sieht die Umgestaltung des Parks in der Dornschneidergasse im Gries vor. Derzeit stehen die 6.000 Quadratmeter leer, denn von einem Trinkbrunnen oder einer überdachten Sitzmöglichkeit fehle laut dem Ideenbringer jede Spur. Er möchte auf diesem Weg den Park wieder zum Leben erwecken.

Wolf-Timo Köhler sitzt vor seinem Computer
Wolf-Timo Köhler möchte das BürgerInnenbudget auch in Zukunft fortführen. – Foto: Chiara Wenig

Dialog – Das Mittel zum Erfolg

Neben den Projekten seitens der Politik ergreifen auch Grazer*innen selbst die Initiative. Die aus dem Beteiligungsprojekt Zeit für Graz entstandene Plattform MEHR Zeit für Graz setzt sich aus ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen zusammen und bildet somit eine Beteiligung „von unten“. Sie veranstaltet regelmäßig Foren im Grazer Rathaus, wo sich Bürger*innen mit Politiker*innen über aktuelle Themen austauschen können.

„Sowohl Bürger*innenbeteiligung von oben, als auch von unten ist notwendig“, meint Karin Steffen, die bis zum 7. Juni Sprecherin der Plattform war. Diese Ansicht teilt auch Wolf-Timo Köhler: „Es muss ein lebender Diskurs stattfinden. Den Dialog qualitätsvoll umzusetzen, wird als Ziel nicht verschwinden.“ 

Beteiligung steckt noch in Kinderschuhen

Das Thema Bürger*innenbeteiligung erlangt immer mehr an Bedeutung. „Früher wäre es in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen“, so Karin Steffen. Dennoch ist noch Luft nach oben. Laut ihr können sich Grazer*innen insbesondere bei Bauvorhaben kaum zu Wort melden. Bevor es zu einer Bauverhandlung kommt, solle man die Bürger*innen darüber informieren. Wenn die Menschen sich jedoch nicht bemerkbar machen und ihr Anliegen laut aussprechen, würde es nie zu Veränderungen kommen. Steffen ist sich sicher: „Als Politiker am Schreibtisch weiß man nicht, was die Leute auf der Straße bewegt.“

Infobox

Bis zum 27. Juni ist das Voting möglich unter: mitgestalten.graz.at

Titelbild: Karin Steffen

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