Islam-Landkarte, Warnschilder, Einschüchterungen: Fikret Fazlić, Imam der größten islamischen Gemeinde in Graz, sorgt sich um die Sicherheit seiner Community und erwartet sich mehr Schutz für die Muslim*innen in Österreich.
Imam Fikret Fazlić ist besorgt. Er empfängt uns im Gebetsraum des Islamischen Kulturzentrums in der Laubgasse, der größten Grazer Moschee, bittet, die Schuhe auszuziehen und einzutreten. Dem Zentrum, dessen Grundstein vor bald zehn Jahren gelegt wurde, ist innen anzusehen, dass es noch nicht ganz fertig ist. Die Einrichtung ist einfach, Leitern und Kartons stehen herum, wie bei einem Umzug. Für den Besucher gibt es Eistee und Kekse.
“Viele von uns haben Angst und fürchten sich, was als nächstes kommt”, sagt Fazlić, der in Sarajevo islamische Theologie und Religionspädagogik studiert hatte und vor bald fünf Jahren aus dem bayrischen Penzberg nach Graz kam. “Die vergangenen Wochen waren schwierig und turbulent.” Mehrfach war das Zentrum der größten islamischen Community Österreichs in den letzten Wochen Ziel von Diskreditierungen, Drohungen und Attacken – von ganz unterschiedlichen Seiten.
Der erste Vorfall ereignete sich am 25. Mai. Während der Gebetszeiten driftete ein 32-jähriger Kroate mit seinem Auto vor der Moschee umher und verängstigte viele Gläubige. Die Islamische Glaubensgemeinschaft meldete den Vorfall am Abend umgehend bei der Polizei, wurde aber laut Fazlić mit der Begründung, man könne nichts tun, wenn man das Nummernschild nicht kenne, abgewiesen. Erst nachdem der Mann am nächsten Tag wiederkehrte und an die Moscheewand uriniert hatte, verhaftete die Polizei ihn. Fikret Fazlić ist unzufrieden: „Wir haben das Gefühl, dass sich niemand um unsere Sicherheit ernsthaft Sorgen macht. Bis heute wissen wir nicht, ob dieser Mann nun ein Verrückter, Verwirrter oder ein ideologisch motivierter Rassist war.“
Fehlende Unterstützung
Nach diesem Vorfall ging das Islamische Kulturzentrum mit seinen Sorgen an die Öffentlichkeit. Auf Facebook kritisierte das Islamische Kulturzentrum in einem Post offen Polizei und Politik, die zu wenig gegen die steigende Islamfeindlichkeit und den Schutz der Muslim*innen (die Annenpost hat bereits vor Monaten darüber berichtet) in der Stadt tun würden. „Dieses Posting hat uns geholfen, wir bekamen die mediale Aufmerksamkeit und hatten auch bald danach Gespräche mit Stadtregierung und Polizei. Wirklich zufrieden sind wir aber nicht, denn es gibt unserer Meinung nach nicht wirklich den Willen, hier viel zu verändern. Es wird immer nur geredet und wenig getan“, so Fazlić.
Ein weiterer Vorfall ereignete sich am 14. Juni, als zwei Personen an der Tafel der Moschee ein Schild mit der Aufschrift „Achtung! Politischer Islam in deiner Nähe“ aufhängten. In diesem Fall handelte die Polizei schnell und gab bereits am 17. Juni bekannt, man habe die beiden Verdächtigen, eine 37-jährige Frau und einen 26-jährigen Mann, ausgeforscht und verhört. Laut Polizei dürfte der Mann der rechten Szene zuzuordnen sein.
Imam Fikret Fazlić bezeichnet diese Aktionen im Gespräch als „Angriff auf die Muslimische Gemeinschaft und die friedliche Ausübung einer Religion“. Es sei beschämend und traurig, dass solche Dinge im 21. Jahrhundert passieren, so der Imam. Dieses Mal folgten auch prompt Reaktionen und Solidaritätsbekundungen aus der Politik. Bürgermeister Siegfried Nagl und Integrationsstadtrat Kurt Hohensinner (beide ÖVP) verurteilten die Aktion aufs Schärfste.
Die Problematik mit der Islam-Landkarte
Der zeitliche Zusammenhang legt nahe, dass die Hetzschilder in Reaktion auf die “Islam-Landkarte” angebracht wurden. Diese hatte Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) am 27. Mai im Rahmen einer Pressekonferenz zu den „Strukturen des Politischen Islam” präsentiert. Die ursprünglich 2012 zu wissenschaftlichen Zwecken erstellte Karte, soll einen Überblick über muslimischen Vereine, Bildungseinrichtungen und Moscheen in Österreich geben. Auch das Islamische Kulturzentrum in Graz war auf dieser Karte verzeichnet. Grundsätzlich wolle man mit der Karte laut Ministerin Raab keinen Generalverdacht schüren, sondern mehr Transparenz und eine Unterscheidung zwischen Anhänger*innen der Religion Islam und des Politischen Islam ermöglichen. Doch bei der Veröffentlichung wurden teilweise veraltete Daten und Wohnsitzadressen statt Vereinsanschriften veröffentlicht. Die Muslimische Jugend Österreich forderte in Folge Polizeischutz für Betroffene.
Scharf kritisiert wurde auch das Framing der gesamten Pressekonferenz, in der die Karte präsentiert wurde. Daniela Grabovac von der Antidiskriminierungsstelle Steiermark: „Ich sehe es problematisch, dass eine Karte, die eigentlich wissenschaftliche Zwecke hat, bei einer Pressekonferenz vorgestellt wird, in der es um den Politischen Islam geht. Das begünstigt das Bild vom Generalverdacht gegen alle Muslim*innen. Dadurch, dass diese Karte nur die Strukturen einer einzigen Religionsgemeinschaft darstellt und im Kontext der Bekämpfung des politischen Islams präsentiert wurde, sehen wir eine klare Diskriminierung der Muslim*innen.“
Ich sehe es problematisch, dass eine Karte, die eigentlich wissenschaftliche Zwecke hat, bei einer Pressekonferenz vorgestellt wird, in der es um den Politischen Islam geht.
Kurz nach der Präsentation der Karte waren in der Nähe mehrerer Moscheen in Wien “Warnschilder” aus offenbar rechten Kreisen mit der Aufschrift “Achtung Politischer Islam in deiner Nähe” aufgetaucht, zuletzt auch in Graz. Kritik an der Islam-Landkarte kam weiters von den anderen Religionsgemeinschaften, Kardinal Christoph Schönborn forderte etwa einen “Religionsatlas” mit allen Religionsgemeinschaften statt einer Islam-Landkarte. Trotz Kritik aus allen Ecken hält die ÖVP weiter an der Idee der Islam-Landkarte fest.
Anti-muslimische Politik?
Imam Fikret Fazlić spannt den Bogen weiter: „Die Diskriminierung und das Schüren von anti-muslimischen Ressentiments wird auch angefacht durch gezielte, polit-taktische Nadelstiche, die nicht zur Verbesserung der Situation beitragen. Wir werden immer wieder öffentlich an den Pranger gestellt. Das wiederum führt vermehrt zu Angriffen, Beleidigungen und Diskriminierung von Muslim*innen in der Gesellschaft und im Alltag.“ Schon in der Vergangenheit war das Zentrum zur Zielscheibe geworden. 2016 etwa wurde es mit Schweineblut und einem Schweinskopf geschändet. Dafür wurden im Februar zwei Beamte des Heeresabwehramts – nicht rechtskräftig – zu Geldstrafen verurteilt. Aber auch im Rahmen der “Operation Luxor”, bei der im November 2020 Spezialeinheiten und Polizei in ganz Österreich zu Hausdurchsuchungen ausrückte, um vermeintliche Hintermännern der Muslimbrüder oder der Hamas auszuforschen, bekam das Islamische Kulturzentrum überraschenden Behördenbesuch. Er habe seit November keine neuen Informationen zum Ermittlungsstand erhalten, sagt Fazlić.
Hate-Crime gegen Muslime steigt
Die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus verzeichnete im Jahr 2020 österreichweit 1402 Fälle, rund ein Drittel mehr als 2019. Dies geht aus dem „Antimuslimischen Rassismus Report“ hervor, den die Organisation im Mai veröffentlicht hat. Zu den Vorfällen zählen Hasspostings im Internet, körperliche Übergriffe oder Ungleichbehandlung. Diskriminierungsexpertin Grabovac sieht in diesem Zusammenhang auch ein Problem auf Behördenebene: „Die Behörden und auch die Polizei haben beim Erkennen und dem richtigen Umgang mit Hate-Crime noch Aufholbedarf. Dieses Thema wurde in Österreich lange sehr stiefmütterlich behandelt. Seit kurzem wurde die Wichtigkeit erkannt und es wurden einige Projekte und Schulungen vom Innenministerium gestartet.“
Den Islam verstehen und einschätzen
Die Expert*innen der von der Regierung eingesetzten und seit Ende 2020 aktiven Dokumentationsstelle politischer Islam und der Islamismus-Forscher Lorenzo Vidino haben in den letzten 4 Jahren Studien, Forschungsprojekte und Papers zu den Themen Islamismus und Politischer Islam erstellt. Demnach gibt es in Österreich eine kleine, aber durchaus bedeutende Strömung, deren Ideologien und Gesinnung (teilweise) nicht mit den Werten und Gesetzen der Republik vereinbar sind oder abweichen. Bei manchen Strömungen gibt es auch eine bedenkliche Verflechtung und Abhängigkeit zu Organisationen oder Staaten im Ausland. Dazu zählen laut den Studien der Dokumentationsstelle unter anderem Muslimbruderschafts-Ableger, Teile der Milli-Görus, Teile der ATIB und die rechtsextremen Grauen Wölfe.
Hier müsse man laut den Expert*innen wachsam sein, aber unbedingt auch differenzieren zur friedlichen und offenen Mehrheit. Islamforscher und Beirat der Dokumentationsstelle Mouhanad Khorchide sagt im Interview mit der Kleinen Zeitung: „Die öffentliche Debatte zeigt, wie nervös die Anhänger des politischen Islam geworden sind. Sie sehen die Dokustelle als eine Institution, die ihre Machenschaften und Strategien entlarven wird, und das ist der Grund, warum sie hier mit allen Mitteln diffamiert wird.“ In allen bisher veröffentlichten Studien wird aber auch bekräftigt, dass es noch wenig Forschung in diesem Bereich gibt und man sich in Zukunft noch mehr damit beschäftigen muss.
Islam-Landkarte wieder online
Nach zweiwöchentlicher Pause (offiziell: Wechsel des IT-Betreibers) ist die Islam-Landkarte seit einigen Tagen wieder samt Suchfunktion online. Das Projekt bleibt aber weiterhin undurchsichtig und unklar. Zum Beispiel fehlen in der zweiten Version die Moschee und das Islamische Kulturzentrum in der Laubgasse sowie einige andere Vereine in Graz, während sie in der ersten Version angegeben wurden. Zudem ist auf der Webseite ein Linkbutton zu einer Facebook-Seite zu finden, auf der ausgewählte mediale Artikel und subjektive Kommentare dazu geteilt werden. Am 02. Mai 2021 zum Beispiel teilt die Seite einen Artikel einer türkischen Medienorganisation und schreibt Vermutungen über eine Verbindung zwischen den Muslimbrüdern und Erdogan und dass sich die Muslimbrüder bald auf den Weg nach Europa machen würden.
Fikret Fazlić spricht sich ganz klar für die endgültige Löschung der Islam-Landkarte aus. Aber er bietet mehr interreligiösen und interkulturellen Dialog an, fordert aber auch ein sofortiges Ende der Stigmatisierung aller Muslim*innen.
“Unsere Türen hier sind für alle geöffnet. Wir freuen uns, wenn Menschen uns besuchen und mehr über unsere Gemeinde erfahren wollen. Ich glaube, wir sollten mehr mit Muslim*innen sprechen würden als über sie”, sagt Fazlić. Abschließend führt er noch durch die Ausstellung “tradition::transformation”, die 24 Moscheeprojekte weltweit und deren Architektur beleuchtet und erklärt.
Das Islamische Kulturzentrum in der Laubgasse in Graz soll in 3 Phasen zu einem großen Zentrum interreligiöser Zusammenarbeit werden. In Phase 1 wurden die Moschee und das Hauptgebäude fertiggestellt, weiters sollen Seminarräumen, ein Bildungshaus und eine Multifunktions-Sportstätte errichtet werden. In der Moschee finden bis zu 1000 Menschen Platz. Die Religionsgemeinschaft in der Laubgasse ist die größte in der Steiermark – für bis zu 5000 Muslime, die im Umkreis von 50 Kilometern leben. Ein Großteil der Gemeinde stammt aus Bosnien. Die Predigt wird auf Arabisch, Bosnisch und Deutsch gehalten.
Titelbild: Friedrich Hainz