Unter dem Motto „Gemeinsam aus der Krise, Potenzial Stadtteilarbeit: Antrieb für Gemeinschaft, Beteiligung und soziales Miteinander in Graz” lud der Arbeitskreis Stadtteilarbeit am 2. Juli 2021 zum Gespräch über Stadtteilarbeit, deren Wichtigkeit und das Vergessenwerden von der Politik.
Die Pandemie zeigt uns, wie wichtig soziale Kontakte sind und welch riesige Herausforderung das Leben ohne solche ist. Es zeigen sich Defizite im Miteinander und fehlende soziale Netzwerke machen sich bemerkbar. Genau hier tritt die Stadtteilarbeit auf den Plan. Was in Wien und Deutschland sehr gut funktioniert, ist jedoch in Graz noch sehr ausbaufähig. Nur zwölf bestehende Stadtteilzentren und Initiativen befinden sich in Graz. Davon schlossen sich insgesamt zehn Initiativen zum Arbeitskreis Stadtteilarbeit zusammen, wovon sich fünf im Annenviertel befinden.
Ein Ort der Begegnung
Unter Stadtteilarbeit versteht man den Ausbau eines sozialen Netzwerkes, das ein Ort der Zusammenkunft ist. Das Ziel dieser Arbeit ist, durch sozialen Zusammenhalt die Lebensqualität in den verschiedenen Stadtteilen zu steigern und die Gemeinschaft vor Ort zu stärken.
Stadtteilzentren sind Anlaufs- und Schnittstellen, die einen Ort der Begegnung darstellen. Sie bieten Offenheit für alle, stellen Kontakte her, fördern die Eigeninitiative und sind auch oft die Brücke zur Politik. Besonders während der sozialen Krise, ausgelöst von COVID-19, ist der Bedarf an einer Gemeinschaft sehr groß. Bürger*innen können in die Zentren einfach nur zum Tratschen vorbeischauen, aber auch gemeinsame Aktivitäten werden geplant, wie z.B. ein Spieleabend. Doch in Graz gestaltet sich die Stadtteilarbeit äußerst schwierig.
Vor vier Jahren kam es zu Kürzungen der Basisförderungen, die Zentren manövrieren sich seitdem von einem Einzelprojekt zum anderen. Mit 25.000 Euro im Jahr pro Einrichtung sei es äußerst schwierig, da davon Räume und Mitarbeiter*innen bezahlt werden müssen, ebenso wie die einzelnen Projekte der jeweiligen Zentren. Die Unzufriedenheit der Betroffenen ist groß, lässt der Arbeitskreis Stadtteilarbeit verlauten. „Geringschätzung und fehlende Wertschätzung drückt sich so aus“, sagt Michael Wrentschur, Soziologe und Spezialist für partizipative Stadtentwicklung.
„Organisieren kollektiver Betroffenheit“
Besonders in Graz herrschen große soziale Unterschiede. Dies führt zu einer geringen Bürger*innenbeteiligung, ganz unter dem Motto „Mich betrifft es eh nicht“. Genau hier will der Arbeitskreis Stadtteilarbeit ansetzen und stellt sich so gegen die Behörden. Diese gestalten sich als widerständig und erschweren die soziale Arbeit immens. „Graz hinkt hinterher“, so Wrentschur, „Graz hat politisch nicht viel Lust, auf die Einschätzungen von Expert*innen zu hören.“
Durch COVID-19 erhöhten sich die sozialen Ungleichheiten und die Wichtigkeit von Stadtteilzentren stieg stetig. Die Soziologin und Hochschullektorin Marie-Therese Sagl findet, die soziale Nachhaltigkeit ist besonders im kleinen Rahmen förderbar, doch wird sie „bei uns hier vergessen“. Es geht um das „Organisieren kollektiver Betroffenheit“. Darum, einen offenen und vor allem konsumfreien Raum zu schaffen, der allen zugänglich sein soll. Sagl meint: „Stadtteilarbeit bedeutet, ein sozialer Anker für alle zu sein.“
Arbeitskreis Stadtteilarbeit: „Wir fordern mehr!“
Die verschiedenen Stadtteilzentren und Initiativen leben momentan vom Ehrenamt, aber „Ehrenamt löst das Problem nicht“, so Sagl. Das Problem stellen fehlende Ressourcen und Profis dar, welche, falls vorhanden, nicht fachlich gerecht bezahlt werden (können). „Profis engagieren sich ehrenamtlich. Die intrinsische Motivation ist zwar groß, die Erschöpfung aber auch“, teilt Wolfgang Kogler, Psychologe und Sprecher des Arbeitskreises, mit. Deshalb fordert der Arbeitskreis Stadtteilarbeit Fachlichkeit, Dialog und dass Stadtteilarbeit nicht als Alltagspolitikum, sondern als Kontinuität behandelt wird.
„Wir fordern ausreichende langfristige Unterstützung“, meint …. Besonders finanzielle Unterstützung ist wichtig. Anstatt der 25.000 Euro sollen es 100.000 bis 150.000 Euro im Jahr pro Einrichtung sein. Außerdem braucht es mindestens zwei Mitarbeiter:innen, welche die richtigen Qualifikationen haben und jeweils 30 bezahlte Stunden arbeiten. Auch vonnöten sind mindestens zwei Räume, um Platz für barrierefreie, konsumfreie und räumliche Gerechtigkeit zu schaffen.
Doch das Wichtigste ist und bleibt „der Einsatz für ein gutes Miteinander“, so der Arbeitskreis Stadtteilarbeit.
Titelbild: Laura Rattensberger
Der Arbeitskreis Stadtteilarbeit besteht aus den Initiativen SMZ – Stadtteilzentrum Jakomini, Grätzelinitiative Margaretenbad, Mehrgenerationenhaus Waltendorf, SMZ – Nachbarschaftszentrum am Grünanger, Nachbarschaftszentrum St. Peter, Stadtteilzentrum Triester, Stadtteilzentrum NaNet, STA EggenLend, Büro der Nachbarschaften, Verein Stadtteilprojekt ANNENViERTEL. Die letzten fünf befinden sich im Annenviertel.
Das sind gute Nachrichten für unsere Stadt. Wir unterstützen diese Initiative!