Auf der Suche nach dem Wir

Lesezeit: 5 Minuten

Das im Rahmen des <rotor> stattfindende Kunst- und Kulturprojekt Die Schule des Wir ermöglicht neue Perspektiven auf die Konvivialität im Annenviertel und darüber hinaus.

Von: Chiara Wenig und Melanie Schönwetter

Was ist das “Wir” und wie kann man Zusammenleben fördern? Diesen Fragen widmet sich das als Teil des verlängerten Grazer Kulturjahres 2020 stattfindende Projekt Die Schule des Wir. Bis zum 17. Oktober können Interessierte sowohl in den Räumlichkeiten des <rotor>, als auch an fünf verschiedenen Outdoor-Plätzen im Annenviertel versuchen, den Fragen auf den Grund zu gehen. Die Diversität des Projektes zeigt sich nicht nur in den aufgegriffenen Themen, sondern auch in der Herkunft der involvierten, auf der ganzen Welt verstreuten Künstler*innen, die zusammengefunden haben.

Kunst zum Anfassen

Bereits im Eingangsbereich des <rotor> bietet sich die Möglichkeit, sich die Finger schmutzig zu machen. Mit selbstgeformten Tongefäßen gestalten Besucher*innen einen persönlichen Beitrag zur Ausstellung. Dabei soll erreicht werden, zuerst das “Ich” wahrzunehmen, um sich im Zuge der Aufstellung der geschaffenen Gefäße für das “Wir” öffnen zu können. Auch in den weiteren Räumen liegt der Schwerpunkt darauf, Kunst mit allen Sinnen zu erleben. So bieten sich Möglichkeiten, Dinge zu hören, zu sehen, zu fühlen und im Zuge dessen die eigene Kreativität auszuleben. Ziel ist es, die Zeit der Isolation zu beenden und dem “Wir” eine neue Bedeutung zu geben.

Leere Raum von rotor als Ausstellung
Die Ausstellung in den Räumlichkeites des lädt zum Mitmachen ein. Foto: Thomas Raggam

Die Ausstellung verbleibt aber nicht nur im <rotor>, sondern findet sich auch verstreut im Annenviertel wieder. Die sogenannten Inseln des Verweilens wurden von den Künstler*innen gemeinsam mit Nachbar*innen und diversen Institutionen geschaffen und dürfen von allen genutzt und genossen werden.

Die Karte der Zukunft

Jugendliche gestalten Betonwand im Zuge des Projektes Schule des Wir zu bunter Landkarte um.
“Ich habe diese Jugendlichen eingeladen, Teil dieser Landkarte zu sein, damit sie über sich selbst und ihren Platz in der Zukunft nachdenken können. Denn dort gibt es einen Platz für sie”, erzählt die Künstlerin – Foto: Karin Lernbeiß

Nur wenige Meter vom <rotor> entfernt, befindet sich vor den goldenen Beinen des Orpheums die Insel der polnischen Künstlerin Aleksandra Czerniawska, die bereits zum zweiten Mal mit dem <rotor> zusammenarbeitet. Diese Insel besteht aus 34 Selbstportraits, gemalt von Jugendlichen der Institutionen lernLAB / KUNSTLABOR Graz, UniT Graz, dem Jugendzentrum YAP und des KLEX. Die Jugendlichen sollten dabei eine glückliche Version ihres zukünftigen Ichs darstellen. Czerniawska verband mit ergänzenden Malereien die unterschiedlichen Selbstdarstellungen dann zu einer kollektiven Karte der Zukunft. “Es ist ein bisschen, wie mit den Karten aus alten Zeiten. Dort, wo der Platz leer blieb, füllten ihn die Menschen mit ihrer Fantasie aus. Die Karte der Zukunft ist also auch ein bisschen davon. Einige Dinge können wir herausfinden, die anderen sind wie Raum für unsere Fantasie”, so die Künstlerin.

“Eine organische Piñata”

Ein bunter Garten der Schule des Wir
Im Garten der wachsenden Erkenntnisse wächst nicht nur Gemüse. – Foto: Karin Lernbeiß

Der sich am Lendplatz befindende Garten der wachsenden Erkenntnis bietet einen Ort für das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen und Milieus. Hier wird gepflanzt, bewässert und getratscht. Inmitten von duftenden Rosmarinbüschen und bereits von Anrainer*innen streng bewachten Margeriten ist es möglich, der Frage des Wir weiter auf den Grund zu gehen. Bunte Kuverts zieren die Insel, in die Fragekärtchen zum Zusammenleben gesteckt und entnommen werden können. “Diese Teile des Wissens, die die Leute uns gegeben haben, werden wie die Früchte des Baumes sein”, so die aus Peru stammende Künstlerin Eliana Otta. Besonders begeistert haben Otta der starke Zusammenhalt und das engagierte Mitwirken der lokalen Institutionen und Menschen. Der Garten, der ursprünglich nur eine leere Plattform aus Holz war, wuchs durch die Mitarbeit vieler Anwohner*innen zu einer bunten und beliebten Begegnungszone heran. Die Bauern des Lendmarktes, der Frauenservice Graz und die Organisation Jugend am Werk brachten darüber hinaus ganz unterschiedliche Aspekte in dieses Kunstwerk ein.

(K)Ein Platz zum Vögeln?

Lustige Sätze stehen auf dieser Sitzgarnitur der Schule des Wir
Auch Spaß wird hier großgeschrieben. “Meisen essen Speisen, die sie dann auf Reisen ausscheissen” ist nur einer der vielen Sätze, der auf den rot bemalten Flächen zu lesen ist. – Foto: Karin Lernbeiß

Am Platz der Begegnung vor dem Bad der Sonne befindet sich ebenfalls eine Insel des Zusammenlebens. Der “Red Birds Sozial Klub” bietet jedoch nicht nur den Menschen einen gemeinsamen Spielplatz und eine Bühne sondern auch Vögeln einen Ort zum Nisten. Immer wieder werden die Gespräche vom fröhlichen Gezwitscher der Vogelscharen unterbrochen. Diese Insel der Konvivialität erinnert trotz knalliger Gestaltung in der Formensprache an den Baustil des sonst so kargen Brutalismus. Der russische Künstler Nikolay Oleynikov hat sich dabei von der Baukunst seiner Heimat inspirieren lassen und dessen idealistische Ansprüche angenommen. “Es ist ein Ort für utopische Versammlungen, an dem menschliche und nicht-menschliche Lernende den Raum bewohnen”, meint Oleynikov. Unterstützt wurde er dabei von dem Kunstverein Roter Keil und malerisch von den Meisterschüler*innen der Ortweinschule Graz. Die Schüler*innen der Mittelschule St. Andrä halfen gemeinsam mit dem Komponisten Christian F. Schiller bei der akustischen Imitation der Tiergeräusche.

Eine Botschaft fürs Universum

Farbenfrohe Boxen der Schule des Wir sorgen für Aufmerksamkeit
Können diese farbenfrohe Boxen die Aufmerksamkeit außerirdischen Lebens auf sich ziehen? – Foto: Karin Lernbeiß

1974 wurde aus einem Observatorium in Puerto Rico eine Nachricht ins All geschickt. Angelehnt an dieses Event möchte man auch bei der Insel des Verweilens beim Metahofspitz eine Botschaft ins Universum senden. Das Kunstwerk, das aus in Raster angeordneten Quadern besteht, wurde vom Grazer studio ASYNCHROME gestaltet. Die Sitzgelegenheiten sind dabei mit unterschiedlichsten Zeichnungen und Texten versehen und laden zum Nachdenken über die eigene Botschaft ins All ein. Diese Insel des Verweilens vermittelt jedoch auch, sorgsam mit unserem Planeten und unseren Mitmenschen umzugehen. Auf die Frage, was das “Wir” für ihn bedeutet und welche Nachricht er gerne ins All schicken würde, antwortet ein Verweilender: “Wir sollten uns alle gleichberechtigt behandeln. Das ist das, was ich von den anderen erwarte. Jeder sollte glücklich sein können.”

Ein Klassenzimmer besonderer Art

Gelbe Sitzflächen der Schule des Wir am Marienplatz
Die Konstruktion am Marienplatz beschäftigt sich insbesondere mit dem Thema Arbeit und der Leistungsgesellschaft. Foto: Karin Lernbeiß

Menschen aus der Nachbarschaft sind dazu eingeladen, die Insel auf dem Marienplatz zum Lernen, Austausch oder einfach nur zum Verweilen zu nutzen. Das Künstlerkollektiv minipogon aus Belgrad hat das Projekt in Form eines Klassenzimmers angeordnet. Passend dazu beschäftigt sich die in gelb gestaltete Sitzgelegenheit mit integrierter Klassentafel und Brainstorming-Wänden mit dem Thema Arbeit. Unter anderem wurde dieses Projekt vom Arbeitslosenverein Amsel, Radio Helsinki sowie der Caritas Graz-Seckau unterstützt und vorangetrieben.

Die Schule des Wir lädt dazu ein, das Zusammenleben nach der Pandemie zu überdenken und neue Perspektiven in verschiedenen Aspekten der Konvivialität zu erlangen. Das Projekt bietet anhand generierter öffentlicher Räume Raum für “Lernen, Verlernen und Weiterlernen”. Die Inseln des Verweilens bieten den Menschen außerdem in der Umgebung mehr öffentlichen Raum und Möglichkeiten des Austausches.

Infobox

Habt ihr schon unsere Videotour zu den verschiedenen Inseln des Verweilens ausgecheckt? Wenn nicht, dann schaut doch auf unseren Social Media Kanälen vorbei!

Im Projekt involvierte Künstler*innen: Nayari Castillo, Catherine Grau / Zoe Kreye, Grossi Maglioni, ILA, Karin Lernbeiß, RESANITA, Daniela Brasil mit Mara Lea Hohn / Delaine Le Bas, Sophie Krier, Ayumi Matsuzaka

Titelbild: Der dekorative Eingang des <rotor>. – Foto: Thomas Raggam

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