Shagain Kharvaa: Mongolischer Traditionssport in Graz

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Bei mongolischen Migrant*innen in Europa setzt sich der Volkssport Shagain Kharvaa immer stärker durch. Seit Kurzem trainiert auch eine Grazer Gruppe im Annenviertel das Knochenplättchen-Schnipsen auf Ziele. Ihr Ziel: Die Europameisterschaften!

Die Anzahl an in Graz lebenden Mongol*innen ist mit 195 überschaubar, genau deshalb kennt man sich untereinander sehr gut. Vor der COVID-19-Pandemie trafen sich einige Männer regelmäßig zum Basketballspielen. Doch im Sommer vergangenen Jahres beschlossen sie umzusatteln und kamen auf das jahrhundertealte Spiel Shagain Kharvaa. Nur Teamkapitän Gansukh Amarbayar habe es in seiner Kindheit gespielt, erzählt Azjargal Batnasan, Mitglied der Grazer Mannschaft. Batnasan ist 38 Jahre alt und lebt seit zehn Jahren in Graz, wo er als Briefträger arbeitet.

Knöchelschießen ohne Knöchel

Shagain Kharvaa ähnelt dem Bogenschießen. Es treten zwei Teams gegeneinander an, die aus sechs Personen bestehen. Vier Schütz*innen knien gleichzeitig am „Schießstand“, zwei aus jedem Team. Mit einer Hand wird eine Holzschiene auf dem eigenen Oberschenkel fixiert. Diese dient als Startrampe für ein keilförmiges Plättchen, das mit dem Mittelfinger der anderen Hand weggeschnipst wird.

Gezielt wird das Plättchen auf kleine, würfelförmige Ziele, von denen 30 Stück auf einer 4,7 Meter entfernten Holzplatte aufgestellt sind. Die Schütz*innen haben vier Versuche, bevor die nächsten an der Reihe sind. Insgesamt kniet jede*r drei Mal am „Schießstand“. Das Team, das mehr Ziele wegschnipst, gewinnt.

Bei einem Treffer werden häufig mehrere Ziele abgeräumt. Es wird aber immer nur ein Zielwürfel aus dem Spiel genommen, die anderen werden von verbleibenden Teammitgliedern eingesammelt und auf ihre Position zurückgestellt.

Shagain heißt übersetzt „Knöchel“ und Kharvaa „schießen“, da früher unbearbeitete Knöchel von Schafen, Ziegen oder Kühen zum Schnipsen genutzt wurden. Heute sind es Knochenplättchen, die in Österreich aus Hirschhörnern gemacht sind. Meist von den Spieler*innen selbst, wie Azjargal Batnasan stolz schildert.

Mit dem weißen Knochenplättchen gilt es einen Zielwürfel wegzuschnipsen – Foto: Tobias Graf

Die richtige Technik entscheidet

Die Ursprünge des Shagain Kharvaa reichen zurück bis ins Mittelalter. Einst ein Zeitvertreib der Nomad*innen, verschwand das Spiel in Zeiten des mongolischen Sozialismus von der Oberfläche. Nach dessen Ende entwickelte es sich ab den 1990er Jahren wieder zu einer der beliebtesten Sportarten in der Mongolei. 2014 wurde es von der UNESCO als Kulturerbe anerkannt.

Zusammen mit den Migrant*innen kam das Knöchelschießen nach Europa. Im August 2020 bildete sich in Salzburg das erste österreichische Team, bald folgten weitere in Graz und Wien. Die Grazer trainieren seit Kurzem sonntags stundenlang im Kulturzentrum Spektral am Lendkai. Dabei wird nur mongolisch gesprochen, während über Lautsprecher traditionelle Motivationsgesänge abgespielt werden. Shagain Kharvaa ist zwar kein reiner Männersport, trotzdem gibt es im Grazer Team keine einzige Frau.

Azjargal Batnasan schnipst seit einem Jahr und das Spiel verlange ihm ein Höchstmaß an Konzentration ab. „Dieses Spiel braucht Geduld, Geduld habe ich in meiner Kindheit nicht gehabt“, führt er aus. Er spiele es sehr gerne, da die Kraft dabei nicht wichtig sei, sondern viel mehr Technik und Präzision über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Azjargal Batnasan (rechts), Teamkapitän Gansukh Amarbayar (mitte) und seine Teamkollegen trainieren so oft es geht – Foto: Tobias Graf

Für Graz und Österreich zum Sieg

Die Städteteams in Österreich treffen sich derzeit alle paar Monate und treten gegeneinander an. Termine werden erst kurz zuvor intern bekanntgegeben. Die kleine Gemeinschaft setzt auf Flexibilität. Das Grazer Team musste sich zuletzt Ende Oktober 2021 den Gruppen aus Salzburg und Wien geschlagen geben.

Es werden auch europäische Bewerbe im Shagain Kharvaa ausgetragen. In Österreich formen die besten Spieler*innen des Landes eine Nationalmannschaft, die einzig aus Mongol*innen besteht. Azjargal Batnasan war noch nie ein Teil von ihr, strebt genau deshalb aber nicht nur nach Erfolg auf nationaler Ebene. Er möchte sich als einer der besten Knöchelschießenden des Landes hervortun und bei einem europäischen Wettkampf für Österreich teilnehmen. Bestenfalls soll dann ein Platz unter den Top 3 herausschauen.

Dafür brauche es aber noch viel Training, merkt Batnasan selbstkritisch an. Die nächste Gelegenheit für ihn und das Grazer Team sich zu beweisen, gibt es vielleicht schon demnächst. Wenn es die COVID-19-Situation zulässt, soll sich die österreichische Community bereits Ende Dezember 2021 wieder zu einem Wettkampf zusammentreffen. Der genaue Termin und die veranstaltende Stadt sind noch nicht bekannt.

Titelbild: Ein Schütze kurz vor seinem Schnipsversuch – Foto: Tobias Graf

Mag ulkige Redewendungen, begeistert sich für nahezu jeglichen Sport und liebt alles außerhalb des Gewöhnlichen.

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