Christian Carli (KPÖ) lebt seit 1996 in Lend. Seit Dezember 2021 steht er dem Bezirk vor. Warum Lend vom Jahr 2003 besonders profitierte, wieso er in Zukunft einiges an Vermittlungsgeschick benötigen wird und wie er es mit Tito hält, erklärt er auf einem Spaziergang mit der Annenpost.
Es ist kalt geworden. Der Winter hat nun auch in Graz Einzug gehalten. An der Straßenbahnhaltestelle Südtirolerplatz wartet bereits Christian Carli (KPÖ), der frisch gewählte Bezirksvorsteher von Lend. Eine großzügige Kapuze bedeckt seinen Kopf. Carli hat vorgesorgt. Unser nachfolgender Spaziergang durch „seinen“ Bezirk wird an diesem klirrend kalten Dezembertag über eine Stunde lang dauern.
Christian Carli kommt direkt von der Arbeit zu unserem Termin. Seinen Arbeitgeber erkennt man unschwer, schiebt er doch während des gesamten Spaziergangs sein Dienstrad mit sich. TU Graz steht darauf geschrieben. Dort ist er im Brotberuf als Archivar tätig. Ob für den studierten Historiker der 26. September, der Tag der Gemeinderatswahl in Graz, und das Wahlergebnis historisch gewesen sei? Carli überlegt länger, antwortet dann aber entschlossen mit „ja“. Und tatsächlich: Noch nie zuvor erreichte die KPÖ in Graz Platz 1, noch nie zuvor wählten über 30% der Wahlberechtigten in Lend kommunistisch.
Trendbezirk Lend
Der 4. Grazer Stadtbezirk zählt mit über 31 000 Bewohner*innen zu den einwohnerstärksten Bezirken in Graz. Vor einigen Jahren noch verschrien, wurde Lend in den letzten Jahren aufgewertet. Das Kunsthaus gilt als architektonisches Wahrzeichen der Stadt. Die Murinsel, eine aufsehenerregende Stahlkonstruktion in der Mur, verbindet den Lend mit der Inneren Stadt. Beide Bauten gab die Stadt Graz anlässlich des Kulturhauptstadtjahres 2003 in Auftrag. „Wir befinden uns hier im hippen Teil des Bezirks. Da hat eine klassische Gentrifizierung stattgefunden“, erklärt Carli.
Die Aufwertung dieses Stadtteils habe freilich auch Nachteile mit sich gebracht. Viele seien aufgrund der rasant steigenden Mietpreise von hier weggezogen. Und die wenigen alteingesessenen Bewohner*innen, die geblieben sind, würden über den gestiegenen Lärmpegel klagen. „Da vorne, am Mariahilferplatz, ist fast immer was los. 2015 zum Beispiel gastierte hier das Ö3-Weihnachtswunder, oder im Sommer finden Ausstellungen statt. Da kann es dann schon lauter werden”, kann Carli sowohl Veranstalter*innen als auch Bewohner*innen verstehen. Seine Rolle sehe er in Zukunft als Vermittler zwischen beiden Seiten. Vermittlungsgeschick, das er auch am nächsten Schauplatz unseres Spaziergangs benötigen wird.
Vorbei an kleinen Shops und dem Szene-Lokal Die Scherbe mit dem legendären „Scherbenkeller“ – hier finden immer wieder kleinere Konzerte statt – erreichen wir den Lendplatz. Bis Mittag verkaufen Bäuerinnen und Bauern hier regionale Lebensmittel, an lauen Sommernächten kann man bei kubanischer Musik gemütlich einen Cuba Libre schlürfen.
Lendplatz: Um Einigung mit Skater*innen bemüht
An diesem Nachmittag präsentiert sich der Lendplatz von seiner ruhigen Seite. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Für Wirbel sorgte im vergangenen Jahr ein exekutiertes Skateverbot. „Das letzte Wort ist hier aber noch nicht gesprochen“, zeigt sich Carli auch hier konsensorientiert. Er plädiert für zwei Lösungsvorschläge: „Entweder der Gemeinderat widmet den betroffenen Platz zur Spielstraße um, oder man einigt sich mit Anrainer*innen auf skatefreie Zeitfenster, in denen die Polizei bei Nichteinhaltung auch straft.“
Positiv streicht Carli die Zusammenarbeit im Bezirksrat hervor: „Dort arbeiten wirklich alle ideologiefrei.“ Zu seinem Vorgänger und nunmehrigen ÖVP-Bezirksrat Wolfgang Krainer pflege er sogar ein freundschaftliches Verhältnis. Dass ihn in der konstituierenden Sitzung 18 der 19 Bezirksrät*innen wählten, empfindet Carli als „großen Vertrauensvorschuss“.
Grüne Themen
Diesem Vertrauensvorschuss möchte Carli in den kommenden fünf Jahren gerecht werden. „Ich will, dass es allen Menschen besser geht“, sagt er mehrmals. Ein Wunsch, der wohl die meisten Politiker*innen aller Länder eint. Was das konkret bedeuten soll? „Ich möchte mehr Grünflächen installieren, Tempo 30 an gewissen Straßen umsetzen und Radwege ausbauen.“ Zu Erinnerung: Christian Carli ist Kommunist, kein Politiker der Grünen. Warum er so stark auf grüne Themen setzt, könnte durch folgende Situation begründet werden.
Wir stehen an der Ampel Keplerstraße. Ein ums andere Auto zischt an uns vorbei. Die meisten fahren stadtauswärts Richtung Bahnhof – wie immer am späteren Nachmittag. Mit dem Fahrrad um diese Uhrzeit hier zu fahren, sei laut Carli „wirklich gefährlich“. Er weiß wovon er spricht: Vor einigen Jahren sei er mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, als ihn an der Kreuzung Keplerstraße/Babenbergerstraße ein Auto angefahren habe. Passiert sei ihm damals nichts, trotzdem wolle er einen Radweg ausgehend von Geidorf über die Keplerstraße bis hin zum Hauptbahnhof durchsetzen.
Wohnbezirk Lend
Mit Überquerung der Keplerstraße zeigt sich der Bezirk plötzlich nicht mehr ganz so modern. „Wir kommen vom Trendbezirk Lend in den Wohnbezirk Lend“, meint Carli. Ein Wohnungsblock grenzt an den nächsten und auf einem der letzten übrig gebliebenen grünen Flecken steht ein Aufsteller mit den Worten „Hier entstehen Wohnungen.“ In diesem Bereich finden wir auch eine jener Hinterhofmoscheen, die Ermittler*innen 2020 im Zuge einer Razzia gegen die Muslimbruderschaft durchleuchteten. “Nach wie vor observiert hier der Verfassungsschutz mit verdeckten Ermittler*innen”, so Christian Carli.
Carli erzählt von der Annenpassage, einem ehemaligen unterirdischen Einkaufszentrum nahe dem Hauptbahnhof, das nun geschlossen hat. Dem Wunsch vieler Grazer*innen nach einer Revitalisierung der Annenpassage erteilt Carli eine Absage: „Die Eigentümer*innen wollen die Annenpassage weder öffnen noch der Stadt verkaufen.“
Aufhorchen lässt Carli auch in einem anderen Thema: Tito – Vorbild von KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr – kommentiert er so: „Es war zwar nicht alles lupenrein – aber auch viele Menschen in der heutigen DDR wünschen sich die Zeit zurück.“. Eine Distanzierung klingt anders. Zur Erinnerung: Tito regierte im ehemaligen Jugoslawien diktatorisch – gegen Oppositionelle ging er hart vor, tolerierte teilweise deren Ermordung.
Neugestaltung Floßlendplatz
Wir haben den Floßlendplatz erreicht. Er markiert das Ende unseres Spaziergangs. Das Rauschen des nebenan fließenden Schleifbachs und die großen Bäume verleihen dem Platz ein ländliches Flair. Carli sieht Potenzial: „Der Basketballplatz gehört erneuert und Parkbänke aufgestellt.“ Auch Kinderspielgeräte könne sich Carli hier gut vorstellen. „Und wenn wir wieder dürfen, möchte ich auch Konzerte veranstalten.“ Damit wolle er Künstler*innen unterstützen – und davon gebe es im Bezirk einige.
Für Christian Carli ist der Bezirk „extremst lebenswert – und er wird es von Tag zu Tag mehr“. Seit 1996 wohnt er hier. Carli schwingt sich auf sein Dienstrad und verabschiedet sich. Ausgehend vom Floßlendplatz geht es für ihn nun nach Hause. Weit hat er es nicht. Er wohnt gleich um die Ecke.
Titelbild: Der neue Bezirksvorsteher Christian Carli – Foto: Lorenz Brunner