Bei einem interkulturellen Kulinariktrip durch die Innenstadt erzählt Irina Karamarković, Vorsitzende des Migrant*innenbeirats, von dessen Problemen und Plänen für ein besseres Miteinander in Graz.
Trotz Sonnenscheins ist es bitterkalt, als die Annenpost Irina Karamarković zu einem kulinarischen Spaziergang durch ihre „Hood” am Kaiser-Josef-Platz trifft. Die 43-Jährige Musikerin ist seit etwa einem Monat Vorsitzende des Grazer Migrant*innenbeirats und wohnt im Bezirk Jakomini. Dort sind auch die Geschäfte, die sie mit der Annenpost besucht: Die belgische Chocolaterie de Naeyer, den internationalen Käsestand am Bauernmarkt, den türkischen Laden von Mustafa Taşkin in der Schlögelgasse, das italienische Spezialitätengeschäft Il Pastaio gleich daneben, den Panda-Asia Supermarkt, danach den neuen osteuropäischen Mix-Markt in der Klosterwiesgasse. Karamarković liebt das Internationale an Graz, das sich längst nicht mehr nur in den Geschäften auf der linken Murseite widerspiegelt sondern in der ganzen Stadt.
Das abschließende Interview findet im Himalaya Masala, ein Restaurant mit nepalesisch-tibetisch-indischer Küche statt. Unterwegs erzählt sie von sich selbst, Plänen und Träumen für den Migrant*innenbeirat und möglichen Gründen für die geringe Wahlbeteiligung im vorherigen Jahr.
Interkulturelle Verbindungen entstehen durch Essen und Kunst
Dass man andere Kulturen am besten durch Kunst und gemeinsames Essen kennenlernt, wusste Karamarkovic schon damals, als sie mit 19 aus dem Kosovo nach Graz kam, um hier Jazzgesang zu studieren. Damals wohnte sie im Lend, einige der Geschäfte und Restaurants, die sie dort kennenlernte, sucht sie heute noch für gewisse Spezialitäten auf. So steht zum Beispiel Senföl aus Farmah’s indischem Supermarkt in der Annenstraße auf ihrer Einkaufsliste.
Auch wenn sie vor allem als Künstlerin und Musikerin aus der alternativen Grazer Musik- und Jazzszene bekannt ist, ist der Vorsitz des Migrant*innenbeirats nicht Karamarkovićs Anfang in der Politik. Zuvor war sie vier Jahre im Kulturbeirat tätig und engagierte sich privat. „Ich bin seit meinen Teenagejahren Aktivistin.” Ihre Erfahrungen und Netzwerke waren auch der Grund, warum sie ein ehemaliges Mitglied des Beirats bat zu kandidieren. Trotz der großen Verantwortung und nicht existierenden Bezahlung, motivierten sie schlussendlich Entwicklungen in der Bundes- und Stadtpolitik wie die Islamlandkarte, der Umgang mit Schutzsuchenden und die Wahlplakate der Grazer FPÖ, sich mit der Liste Neue Generation für den Beirat aufstellen zu lassen.
„Ich wollte etwas dagegen tun. Nicht nur dagegen sondern auch für ein Miteinander.”
Die Qual der Wahl
Obwohl der Migrant*innenebeirat zu den wenigen Möglichkeiten gehört, die Menschen aus Drittstaaten haben, um die Stadtpolitik mitzugestalten, gaben im September 2021 nur viereinhalb Prozent der circa 29.600 Wahlberechtigten ihre Stimme für seine Mitglieder ab. Im Gegensatz zu EU-Bürger*innen dürfen diese den Gemeinderat nicht wählen, auch wenn sie in Graz wohnen. Karamarković sieht für die geringe Wahlbeteiligung mehrere Faktoren: Zum einen habe der Beirat wenig politische Macht, denn er könne nur beraten, wenn die Politik auch bereit ist zuzuhören. Das sei in der Vergangenheit nicht immer gegeben gewesen. Ihr Blick in die Zukunft ist aber optimistisch. Die neue Stadtregierung, die – sehr zu ihrer Freude – weiblich geführt ist, habe dem Migrant*innenbeirat bereits ihre Unterstützung ausgesprochen. „Ich muss sagen, dass ich mich über Frauen als Bürgermeisterin und Vizebürgermeisterin freue!” Auch Karamarkovićs erste Stellvertreterin Endah Ebner, die bereits im vorherigen Beirat tätig war, ist weiblich.
Ein weiteres Problem sei Budget, das schon seit zehn Jahren nicht mehr erhöht wurde. Die kandidierenden Listen erhalten nur je 300 Euro zur Unterstützung, damit könne nicht viel erreicht werden „In den Wahllokalen stehen nicht einmal die Namen der Kandidat*innen.” Karamarkovićs Liste veranstaltete mit ihrem knappen Budget eine Verlosung unter den Wähler*innen, wer eine Stimme abgab, hatte die Chance, ein Handy zu gewinnen. Für richtige Wahlwerbung hätte das Geld ohnehin nicht gereicht.
Vergleichsweise lag die Obergrenze für Wahlkampfkosten der Grazer Parteien, die das sogenannte Fairnessabkommen unterzeichnet hatten, im selben Jahr bei 400.000 Euro.
Noch ein möglicher Grund für die geringe Wahlbeteiligung ist, dass der Migrant*innenbeirat nicht in allen Grazer Wahllokalen gewählt werden kann. Derzeit gibt es dafür 28 ausgewählte Stellen in allen Bezirken, bei einer Gesamtzahl von 275 Wahllokalen.
Das geringe Interesse am Beirat liegt laut Karamarković auch daran, dass dieser nicht mehr völlig am Puls der Zeit sei. Auch wenn Drittstaatler als stark benachteiligte Gruppe am meisten Vertretung bräuchten, gäbe es genügend Migrant*innen, deren Heimatstaaten mittlerweile der EU beigetreten seien, die aber mit vielen derselben Probleme kämpfen: Diskriminierung, Rassismus und sprachliche Barrieren. Der Beirat habe also mittlerweile dasselbe Problem wie die Stadtregierung: Nicht alle, die ihn brauchen, dürfen ihn auch wählen.
Öffentlichkeitsarbeit und Arbeit für die Öffentlichkeit
Dieselben finanziellen Probleme, die es den Listen schwer machen, Wahlwerbung zu betreiben, beeinflussen den ganzen Beirat. „Es gibt zu wenig Öffentlichkeitsarbeit, die Leute wissen nicht, dass es uns gibt.” Um das zu ändern, werde gerade intensiv an Reformvorschlägen gearbeitet. Beispielsweise gebe es Gespräche über mehr Platz in der BIG, der kostenlosen, offiziellen Zeitung der Stadt Graz. Tatsächlich erhielt der Migrant*innenbeirat in der diesjährigen Februar Ausgabe eine Doppelseite. Durch diese Veränderungen sollen mehr Menschen von der Existenz des Beirats erfahren. Mit den momentanen Mitteln könne man höchstens Vereine erreichen, in denen nunmal nicht alle organisiert seien.
Auch in der eigentlichen Arbeit des Beirats hofft Karamarković auf frischen Wind. Besonders, wenn es um Koordination verschiedener Beratungsstellen geht. Die Vernetzung mit diesen soll gestärkt, und das Angebot des Beirats ausgebaut werden. „Wir probieren, uns in eine praktische Richtung zu entwickeln”, so Karamarković.
Derzeit berate der Beirat Vereine und helfe der Stadt beim Verbreiten von Informationen zur Pandemiebekämpfung in verschiedenen Sprachen. Die einzelnen Mitglieder leisten auch eigenständige Community Arbeit.
Titelbild: Irina Karamarkovac am Ende des Lebensmittel-Spaziergangs im Himalaya Masala – Foto: Ifeoma Moira Ikea