links ist Rainer Frimmel zu sehen, rechts Tizza Covi. Sie befinden sich im Ausstellungsraum der Camera Austria, im Hintergrund sieht man Bilder aus Wien.
Titelbild: Rainer Frimmel und Tizza Covi beim Künstler:innengespräch. – Foto: Nadine Hager

„Über die Ränder” – eine Ausstellung, die hinschaut

Lesezeit: 4 Minuten

Bis zum 22. Mai findet die Fotoausstellung „Über die Ränder“ in Ko-Produktion mit dem Filmfestival Diagonale in der Camera Austria statt. Das Film- und Fotografieduo Tizza Covi und Rainer Frimmel lädt dazu ein, die Ränder der Gesellschaft neu zu überdenken. 

Frauen und Männer verschiedenen Alters in nüchternem Schwarz-Weiß. Sie posieren in extravaganten Kostümen vor einem hellen Hintergrund. Die einen blicken hoffnungsvoll, die anderen mitgenommen in die Kamera. Sie alle haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind Zirkusartist:innen und zugleich Menschen an den Rändern der Gesellschaft.

In den Räumen der Camera Austria wollen Covi und Frimmel auf diese Minderheiten aufmerksam machen, wie sie anlässlich eines Künstler:innengesprächs Anfang April erzählten. Dabei konzentrieren die beiden sich hauptsächlich auf österreichische und italienische Zirkusartist:innen sowie Leute aus dem russischen Dorf Jasnaja Poljana bei Kaliningrad. Unter anderem gibt es eine Fotoserie mit Bildern von leeren Gehegen aus Zoos in New York und Paris, Recherchebilder von Covis und Frimmels Reisen und projizierte Fotos aus Kaliningrad zu sehen.

Der Mensch im Mittelpunkt

Die Porträts spiegeln das Interesse der beiden an Menschen und deren Geschichten wider. Ihre Werke legen Dinge offen, die die breite Masse sonst gerne übersieht. „Mit der Fotografie versuchen wir, an verschwindenden Räumen, Welten und Gesellschaften festzuhalten, die dennoch einen gewissen Wert haben“, erklärt Rainer Frimmel im Künstler:innengespräch. Den Moment einfrieren und vorschnelles Urteilen verhindern – das sind zwei Ziele, die Frimmel und Covi durch ihre Fotografie erreichen wollen. Durch die neutrale Darstellung der Porträtierten einer Fotoserie wird der:die Betrachter:in dazu aufgefordert, das Bild weiterzudenken, unbeeinflusst von der sozialen Stellung der Menschen. Die Präsenz der Fotografierten mit ihrer Individualität steht im Vordergrund. 

Porträts von österreichischen und italienischen Zirkusartist:innen in schwarz-weiß, drittes Bild links oben: Babooska
Schwarz-Weiß-Porträts von Zirkusartist:innen; Babooska (oben: zweite v. r.) – Foto: Nadine Hager

Ein Jahr mit Babooska

Im Gespräch zeigt Frimmel auf eine Wand, an der mehrere Porträts von Zirkusartist:innen hängen: „Das Mädchen in der obersten Reihe, das dritte Bild von links. Das ist Babooska. Sie war damals 13 Jahre alt und für uns ein sehr faszinierender Mensch. Sie wirkte sehr lebenserfahren, abgebrüht und reif“, erzählt er. Sieben Jahre nach der Entstehung des Bildes drehten Covi und Frimmel dann den Dokumentarfilm „Babooska“ über das italienische Zirkusmädchen und die Lebensumstände der Zirkusleute. Weil sie ständig unterwegs sind, können die Kinder keine kontinuierliche Schulbildung erfahren. Um sich den Lebensbedingungen und den Ansichten ihrer Protagonist:innen anzunähern, nahm das das Regie-Duo einen Einblick in ein Jahr Babooskas. Sie besuchten die Zirkusartistin und ihre Familie Grimaldi mehrmals über das Jahr und folgten ihnen einige Stationen im Wohnwagen durch Italien.

Covi und Frimmel verbringen meist einen längeren Zeitraum vor Ort und werden Teil des Alltags der Protagonist:innen. Es sei ihnen aber sehr wichtig, den Menschen ihren Raum zu geben. „In unserer Arbeit ist vor allem der verantwortungsvolle Umgang wichtig. Die Bilder sollen nicht nur hinter die Fassaden der Menschen blicken, sondern auch deren Würde und Stolz zeigen“, sagt Covi. 

Gemeinsame Anfänge

Rainer Frimmel und Tizza Covi sind vor allem für ihre mehrfach ausgezeichneten Filme bekannt, ihre gemeinsame berufliche Laufbahn begann aber in der Fotografie. Beide wurden 1971 geboren, Covi in Bozen und Frimmel in Wien. In Wien besuchten sie das Kolleg für Fotografie an der Graphischen Lehranstalt. 1997 bereisten sie Kaliningrad. Die russischen Gebiete zwischen der polnischen und litauischen Grenze bildet einen Ort der Vertriebenen, Heimatlosen und Umgesiedelten. Dort fingen die Künstler:innen an, gemeinsam an fotografischen Projekten zu arbeiten. „Als wir in Kaliningrad angekommen sind, haben wir gemerkt, dass die meisten Menschen dort keine Bilder von sich hatten. Dann sind wir durch das Land gereist und haben Bilder von den Leuten gemacht“, so Frimmel.

Für die beiden diene das Fotografieren als Ice Breaker“, ein einfaches Mittel, in Kontakt mit den Menschen zu treten. „Der persönliche Kontakt ist an unserer Arbeit das Wichtigste“, fügt Covi hinzu. Ihre Reise nach Kaliningrad entwickelte sich auch zu einer Vorstudie ihres ersten Films „Das ist alles“, ein Dokumentarfilm über die Lebensumstände der Einwohner:innen Jasnaja Poljanas.

Fotoausstellung in der Camera Austria: links Fotoserie Zirkusartist:innen, rechts Bilder aus Rom und Wien und Audiostationen. – Foto: Nadine Hager
Camera Austria: links Fotoserie Zirkusartist:innen, rechts Bilder aus Rom und Wien, sowie Audiostationen. – Foto: Nadine Hager

Von der Fotografie zum Film

Seit 2002 produzieren Covi und Frimmel eigenständig sozial-realistische Filme mit ihrer Produktionsfirma „Vento Films“. In ihren Filmen spielen meist Laiendarsteller:innen, geschrieben werden sie nur zum Teil. So bewegt sich das Regie-Duo in den Genres Dokumentar- und Spielfilm. Viermal wurde einer ihrer Filme mit einem Diagonale-Preis gekrönt, darunter auch der Film Babooska in der Kategorie „Bester österreichischer Dokumentarfilm“. Die Jury lobt dabei das Erzählen durch Situationen und Bilder und die atmosphärische Nähe, die dabei geschaffen wird.

Die Ausstellung markiert den Übergang des Duos von Fotografie zu Film. Vielfach kann man beobachten, dass die später entstandenen Filme  die Themen und Orte aufgreifen, die in ihrer jetzigen Ausstellung zu sehen sind. Die neuesten Fotos von „Über die Ränder“ sind um das Jahr 2000 entstanden. ,„Als wir bei den ersten Ausstellungen gemerkt haben, dass wir immer neben den Fotos gestanden sind und uns verpflichtet gefühlt haben, die Hintergrundgeschichte der Leute zu erzählen, ist uns das etwas kontraproduktiv vorgekommen. So kam dann die Idee zu unserem ersten Film“, erklärt Covi. In der jetzigen Ausstellung versucht das Duo, das Problem der Unpersönlichkeit durch Tonaufnahmen zu umgehen. An Audiostationen lassen sich Gespräche mit Menschen aus Kaliningrad, mit Bärendompteuren oder einem Wienerliedsänger hören. 

Die beiden Künstler:innen arbeiten mittlerweile seit über 25 Jahren zusammen. Ihre Zusammenarbeit funktioniere deshalb so gut, „weil es in ihrer Arbeit in erster Linie um die Fotos gehe und nicht darum, wer bei einem Bild den Auslöser drückt“, betont Tizza Covi im Künstler:innengespräch. Und weiter: „Mit unserer Arbeit wollen wir Werke produzieren, in denen wir uns wiedererkennen und mit denen wir den Leuten etwas zurückgeben können.“

 

Titelbild: Rainer Frimmel und Tizza Covi beim Künstler:innengespräch in der Camera Austria. – Foto: Nadine Hager

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