Seit Mai bietet das frühere Studentenwohnheim in der Wiener Straße ukrainischen Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf. Hundert Menschen haben dort vorübergehend ein neues Zuhause gefunden. Wie sieht ihr Alltag aus und wie finden sie sich in ihrem neuen Leben zurecht? Ein Besuch.
Von Carolin Luttinger, Sarah Schober, Fabian Rostek, Tom Rosenberger, Tanja Perchtold, Sarah Romauch
Wenn Hanna Svyrydovych spricht, dann lacht sie viel. Dabei schwingt auch eine Unbeschwertheit mit, wie sie in ihrem früheren Leben häufiger gewesen sein dürfte. Bis vor einem halben Jahr arbeitete Hanna Svyrydovych als Radiomoderatorin bei Pyatnica UA in Kiew und interviewte dort zahlreiche Berühmtheiten. “Ich glaube, es gibt keinen Star aus der Ukraine, den ich noch nicht interviewt habe”, behauptet sie. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selber ist ein alter Kindheitsfreund von Hanna. Dann kam der Krieg. Sie packte die wichtigsten Sachen und brach mit ihrem 15-jährigen Sohn Richtung Graz auf. Mann und Katze blieben in der Ukraine zurück.
In Graz hat Hanna mit März 2022 ein neues Zuhause gefunden. Nachdem sie zuerst privat unterkamen, lebt sie nun mit ihrem Sohn und gemeinsam mit rund 100 weiteren Flüchtlingen in einer von 16 Wohnungen des ehemaligen WIST Studentenheims in der Wiener Straße. Noch vor wenigen Jahren tummelten sich Studierende am Gelände – nun hört man ukrainische Stimmen in den Gängen und im Hof. Seit Mai wird das Gebäude von Jugend am Werk gemietet und geführt.
Ein Umzug ins Ungewisse
An das Heim hatte Hanna anfangs sehr niedrige Erwartungen. „Ich habe gedacht, in einem Studentenheim gibt es nur eine Toilette für 30 Leute.” Bei ihrer Ankunft war sie überrascht: Den Bewohner:innen stehen hier eigene Apartments zur Verfügung – Toilette inklusive. “Es herrscht eine sehr angenehme Atmosphäre und viel Komfort. Wir fühlen uns zugehörig, fast wie Zuhause”, sagte Hanna bei unserem Gespräch in der Wiener Straße. In den Kinderzimmern stehen Bücher bereit, es gibt Spielzeug für die Kleinen, die Räume sind möbliert, die Küchen gut ausgestattet.
“Wir haben die Wohnungen vom Kochlöffel bis zum Bettzeug eingerichtet”, sagt Walter Kogler. Er ist Teamleiter und Koordinator der Flüchtlingsbetreuung. In dem Heim stehen ihm zwei Betreuerinnen zur Seite. Nicht viel für 100 Bewohner:innen. Doch das tue der Betreuungsqualität keinen Abbruch, erzählt Hanna. Die Betreuung sei gut – sowohl sprachlich als auch emotional. Die beiden Frauen von Jugend am Werk kennen alle Bewohner:innen beim Namen, wissen um deren Geschichte und stehen ihnen bei Problemen zur Seite. „Ich bin diesen Menschen sehr dankbar, dass sie so ein Vertrauen zu mir aufbauen. Das macht mich irgendwie stolz und gibt mir ein gutes Gefühl“, meint auch Olena Mishchii, eine der beiden Betreuerinnen. Olena kommt ebenfalls aus Kiew, wo sie als Musikerin arbeitete, 2007 zog sie nach Graz. Jetzt ist sie bei Jugend am Werk als Dolmetscherin und Betreuerin tätig.
Alltag im Flüchtlingsheim
Nicht nur zu den Betreuerinnen haben Hanna und die anderen eine gute Beziehung aufgebaut, auch die Bewohner:innen untereinander haben mit der Zeit Freundschaften geschlossen. Regelmäßig trifft sich Hanna mit ihrer neuen Freundin aus Odessa, um sich auszutauschen und gemeinsam Graz zu erkunden. “Allen voran der Schlossberg, Mariatrost und Eggenberg haben es mir angetan”, meint die Ukrainerin. “Und die Wiener Straße natürlich“, fügt sie lachend hinzu. Während am Nachmittag Zeit für allerlei Aktivitäten ist, besuchen Hanna und die anderen Bewohner:innen vormittags einen Deutschkurs im Wohnheim. Die Kulturinitiative uniT bietet in Kooperation mit dem Theater am Lend weitere Basisbildungs- und Sprachkurse an.
Auch für die Kinder gibt es Unterricht. Der läuft jedoch ein bisschen anders ab als bei den Erwachsenen: Die Ukrainerin Vladyslava Chentsova, kurz Vlada, bringt den Jungen und Mädchen gemeinsam mit einer Kollegin seit Juli spielerisch Deutsch und Englisch bei. Sie selbst ist ebenfalls zu Beginn des Krieges geflüchtet und arbeitet nun mit uniT zusammen. Nebenbei ist sie auch noch als Künstlerin tätig.
Die Lernstunde beginnt mit einer kurzen Gesprächsrunde, in der jedes Kind über seine Gefühle erzählen darf. Anschließend wird gebastelt, gespielt und gelernt. Der Unterricht im Wohnheim bietet eine Abwechslung zum regulären Schulbetrieb. “Die ukrainischen Kinder brauchen natürlich mehr Zeit, um Dinge zu lernen. In der Schule lernen sie zwar auch etwas, aber wir mischen das Lernen mit Spielen und ich glaube, das ist besser für sie“, sagt Vlada. Das Konzept scheint bei den Kleinen sehr gut anzukommen: „Ich glaube, sie mögen es, manche sagen sogar, dass sie es lieben. Als wir eine Pause gemacht haben, haben sie andauernd gefragt, wann es wieder losgeht.“
Zwischen den Flüchtlingen herrscht ein ständiger Austausch über ihre Erlebnisse der letzten Monate. Allen voran die Kinder scheinen Probleme damit zu haben, überhaupt zu verstehen, was passiert ist. Vlada glaubt an ein baldiges Kriegsende. Dennoch sind Zukunftspläne für sie zur Zeit sehr schwierig. Nur eins steht für die Ukrainerin fest: „Ich persönlich muss so schnell wie möglich zurück.“
Anderen Geflohenen geht es in dieser Frage ähnlich. Trotzdem betont Hanna: „Egal wie viele Jahre vergehen werden, Österreich wird immer ein besonderer Ort für mich bleiben.“