Maria steht vor dem Greenbox-Gebäude

Geflüchtete in der Greenbox: “Wir kämpfen mit Schuldgefühlen.”

Lesezeit: 4 Minuten

Heute, am 24. Februar, jährt sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Kurz nach Kriegsbeginn stellte das Studierendenheim Greenbox in Eggenberg ukrainischen Geflüchteten Zimmer zur Verfügung. Wir haben drei von ihnen getroffen.

Die von kaltem Licht durchfluteten Gänge der Greenbox West lassen nicht darauf schließen, wer sich in den Wohneinheiten verbirgt. Lediglich ein giftgrünes Glasschild verrät jeweils die Türnummer. An manchen Türen sind jedoch seit bald einem Jahr Zettel angebracht, auf ihnen gedruckter, kyrillischer Text mit organisatorischen Informationen.

Die Greenboxen bieten etwa 1200 jungen Menschen Wohnraum, verteilt auf fünf Standorte in Graz und einen in Leoben. Diese sind allesamt im Besitz des Trägervereins „Servicedienstverein für FachhochschülerInnen und StudentenInnen“, kurz „SFS“. Jener 2003 von Stadtrat Kurt Hohensinner (ÖVP) gegründete Verein ist gemeinnützig ausgerichtet, also werden Mietpreise vergleichsweise günstig angesetzt und Gewinne nicht abgeschöpft, sondern für Renovierungen und Ausbau verwendet.

Da die Covid-Pandemie und der damit einhergehende Onlineunterricht bei Universitäten viele freie Zimmer zur Folge hatte, entschied sich der Geschäftsführer Stefan Hausberger im März 2022 dazu, diese dem Land Steiermark zur Verfügung zu stellen. Nun wohnen in den Greenboxen seit Monaten Geflüchtete mit ukrainischer Muttersprache. In den beiden Gebäuden in der Eckertstraße und in der Eggenberger Allee, die gemeinsam die Greenbox West ausmachen, wohnen etwa 70 Ukrainer:innen, das sind ca. 15 % aller Bewohner:innen. Mit drei von ihnen haben wir gesprochen.

Monatelange Unsicherheit

Die 26-jährige Maria aus Kiew musste im März letzten Jahres lange am Bahnhof warten, bis sie Platz in einem Zug nach Österreich bekam. Ihr Vater, der immer noch in der Ukraine lebt, schubste sie letztendlich regelrecht in den Waggon, um gegen den großen Andrang anzukämpfen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Wien, wo Maria mit ihrer Mutter und ihrem Bruder wiedervereint wurde, brachten Freunde die drei auf die Idee, nach Graz weiterzuziehen. Von dem Logopädiestudium, das sie in der Ukraine abgeschlossen hat, kann sie im Moment nicht viel Gebrauch machen. Derzeit besucht sie Deutschkurse und arbeitet nebenbei als Lehrerin bei einer ukrainischsprachigen Grazer Bildungsinitiative.

Anfangs fand Maria ihr neues Leben sehr schwierig, da sie aus ihrem alten einfach herausgerissen wurde. Sie fühlte sich ohne Halt, Sinn und Nutzen. In den letzten Monaten habe sich ihre Lebenssituation gebessert, erzählt sie in der Lobby im Erdgeschoss der Greenbox. Ihr fällt es aber sehr schwer, zu entscheiden, in welchem Ausmaß sie ihr Leben hier aufbauen soll: „Mein Vater hat mir gesagt, dass es in Kiew immer noch sehr gefährlich ist und wir nicht wissen, wann es wieder sicher sein wird. Du weißt nicht, wie viel du in Österreich machen sollst, ob du Freunde gewinnen, ob du die Sprache lernen sollst, weil du nicht weißt, wann es vorbei sein wird.“ Graz gefällt Maria, da die gut ausgebauten Fahrradwege die Stadt leise und sicher machen, und auch die Menschen halten sich mehr an Gesetze und Regeln als in ihrem Heimatland, meint sie. „Die Leute sind sehr nett, wenn sie wissen, dass du aus der Ukraine kommst. Aber das Mitleid ist manchmal ein bisschen zu viel und du fühlst dich oft einfach nur als Opfer.“

Österreich als Dauerlösung

Rodion ist in Odessa geboren, die letzten Jahre verbrachte er aber in Kiew. Als er letzten Herbst mit seinen Eltern nach Österreich kam, machte er gerade seinen Schulabschluss. Das Zeugnis wurde dem 17-Jährigen nachgeschickt. Rodions Eltern wohnen und arbeiten jetzt in England, darum hat er einen Vormund, der in Graz wohnt. Seine WG teilt sich Rodion mit einem ehemaligen Juwelier aus Charkiw, der seine Freizeit auf Duolingo verbringt, um Deutsch zu lernen. Auch Rodion lernt Deutsch, denn sein Ziel ist es, nächsten Sommer in Wien Jus zu studieren. Generell stellt er sich ein Leben in Österreich besser vor und will auch nach dem Krieg hier bleiben. „Diese Küche zum Beispiel ist gut, in der Ukraine sind Küchen nicht so gut“, sagt er, und gestikuliert in die Richtung seiner WG-Kochnische.

Der Zusammenhalt zwischen Menschen aus der Ukraine in Österreich sei auch viel besser als in der Heimat, meint der Teenager. Was Rodion stört, ist die Auflage des Landes Steiermark, dass sich alle Geflüchteten in der Greenbox zweimal pro Woche im Büro des Studierendenheims einen Stempel auf ihre Unterschriftenlisten holen müssen. Dies dient zum Nachweis der Anwesenheit im Land. „Ich liebe Reisen, ich war schon in 22 Ländern in Europa, darum finde ich es sehr schade, dass ich immer hier bleiben muss“, meint er.

Rodion in der Eingangstüre seiner WG
Rodion öffnet die Tür zu seiner WG – Foto: Jan Sacher

Schuldgefühle als Vertriebene:r

Auch Alika, 22, lebt seit Oktober in der Greenbox. Nach dem Ausbruch des Krieges zog sie von Kiew in den Westen der Ukraine und verbrachte ein halbes Jahr als Binnenvertriebene, bevor sie gemeinsam mit ihrem Freund mit Zügen und Bussen nach Österreich reiste. Auch ihre Mutter floh aus der Ukraine, kehrte dann aber wieder zu Alikas Vater zurück, der aufgrund der Militärmobilisierung das Land nicht verlassen darf. Grundsätzlich, so findet sie, sei es für junge Menschen einfacher, zu flüchten, da bei ihnen eine weniger starke Verbindung zur Ukraine herrscht als bei Personen, die Jahrzehnte in ihrer Heimat verbracht haben.

Das Veterinärmedizin-Studium, das sie in der Ukraine begann, führt sie jetzt an derselben Universität online weiter. In ihrer Heimat arbeitete Alika neben ihrem Studium in einer Klinik, um sich das Studium finanzieren zu können. „Manchmal habe ich 72 Stunden in der Woche gearbeitet. Nicht oft, aber manchmal“, erzählt sie. Obwohl sie auch hier wieder freiwillig in einer Tierklinik arbeitet und 15 Stunden die Woche Deutsch lernt, hat Alika in Österreich mehr Freizeit. Diese verbringt sie damit, zu musizieren und zu singen. Trotzdem ist die junge Frau bedrückt: „Viele junge Menschen hier haben Kontakt zu ihren Freunden in der Ukraine. Wir fühlen viel Stress, und wir machen uns Sorgen. Wir müssen jeden Tag rationalisieren, und verstehen, dass es in Ordnung ist, dass wir im Ausland sind, weil wir uns vor Bomben retten. Aber wir kämpfen mit Schuldgefühlen. Wir denken, dass wir keine normalen Ukrainer sind und dass wir in Kiew sein sollten wie die anderen.“

Darum, so meint sie, sei gegenseitige psychologische Unterstützung von Freund:innen und Familie umso wichtiger. Anfangs war es für Alika schwer zu verstehen, worüber die Leute reden. „Ich fühlte mich verloren und einsam. Doch ich mag die Mentalität der Menschen hier. Sie sind sehr unterstützend, und ich fühle mich respektiert und sicher. In Österreich sind alle ruhig und das beruhigt mich auch.“

 

Titelbild: Maria vor dem Greenbox-Gebäude – Foto: Jan Sacher

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