Immer mehr Schüler:innen sind von psychischen Problemen betroffen

„Würden nur wenige zugeben” – psychische Probleme von Schüler:innen

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Immer mehr junge Menschen leiden unter psychischen Problemen. Die Annenpost hat offen mit Schüler:innen aus dem Viertel darüber gesprochen, wie es ihnen aktuell so geht und woran es fehlt.

„Ich bekomme leider recht viele psychische Probleme meiner Mitschüler:innen mit, offen würden es nur wenige zugeben, aussprechen oder zeigen, weil in den Klassenräumen immer noch gelacht wird, wenn Themen wie Therapie, oder psychische Krankheiten und Probleme angesprochen werden”, erzählt Silvia Lechner. Sie ist Schulsprecherin des BG/BRG Oeversee und Landesvorsitzende von PROGRESS Steiermark. „Viele haben Probleme mit Motivation, Konsequenz und Durchhaltevermögen und brechen bei den kleinsten Belastungen zusammen.“

Status Quo an österreichischen Schulen

Laut einer UNICEF-Studie hat fast jede:r fünfte Österreicher:in zwischen 10 und 19 Jahren heutzutage mit psychischen Problemen zu kämpfen. Damit liegt das Land über dem Durchschnitt. Demnach soll weltweit jeder Siebte, in Europa jeder sechste junge Mensch mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. 

Ein zentraler Ort für die Kinder und Jugendlichen ist in ihrem Alter die Schule. Im Interview gibt der Schulpsychologe Josef Zollneritsch, langjähriger Leiter der Abteilung Schulpsychologie & Schulärztlicher Dienst in der steirischen Bildungsdirektion, Einblicke in die Gründe für diese Entwicklung.

Neben der Corona-Pandemie wäre dafür vor allem ein zu hohes Lernpensum verantwortlich. Darüber hinaus bleibe einfach zu wenig Zeit für Freizeit und soziale Kontakte. Gemeinsam mit den pubertären und postpubertären Veränderungen und Problemen, welche jeder junge Mensch erlebt, ergebe dies oft eine sehr labile psychische Situation, sagt Zollneritsch, der auch den Verein Schulpsychologie Steiermark gegründet hat.

Hilfsangebote für Schüler:innen sind selten

Die Folgen davon machen sich meist ganz unterschiedlich bemerkbar. „Wir merken auch bei uns an der Schule, dass Schüler aus diversen Gründen psychische Sorgen haben”, erzählt Frédéric Schramm, Schulsprecher des Bundesrealgymnasiums Keplerstraße und Obmann der Schülerunion Graz. „Die bekannten Fälle reichen vom einfachen Bedarf einer Vertrauensperson bis zum monatelangen Fernbleiben der Schule aufgrund von schwierigen psychischen Situationen.”

Die Probleme der Schüler:innen sind bekannt, doch das Hilfsangebot an den Bildungseinrichtungen scheint diese nicht kompensieren zu können. „Definitiv nein”, sagt Silvia Lechner. „Die Kapazität ist total ausgelastet, ein:e Schulpsycholog:in kümmert sich teilweise um vier bis sechs Schulen.” 

Seit diesem Jahr besucht eine Schulpsychologin zweimal in der Woche ihre Schule, jedoch könne diese Qualität nicht überall geboten werden. „Manche haben keinen Zugang zu einer derartigen Unterstützung und manche Schulen nur auf Anfrage. Wir haben für die zwei Tage einen eigenen Raum für die Schulpsychologin, dort finden die Gespräche dann unter vier Augen statt, auf Wunsch kann man auch eine Begleitung mitbringen.”

Auch an Frédérics Schule, dem BRG Kepler, ist das Problem bekannt, es werden bereits mehrere Unterstützungsmöglichkeiten angeboten. Insbesondere Vertrauenslehrer würden dabei eine wichtige Rolle spielen. Trotzdem mangele es an notwendigen Ressourcen, um die Probleme vollumfänglich angehen zu können, sagt der Schulsprecher.

Knapp doppelt so viele Psychologen benötigt

Schulpsychologe:innen sind Mangelware
„Schulpsychologe:innen sind Mangelware – Foto: Pixabay“

„Österreich hat ja leider Gottes lange Zeit überhaupt keine Unterstützungskräfte gehabt. Schulpsychologie in Österreich ist verstaatlicht und der Staat ist schon länger sehr zurückhaltend im Schaffen von neuen Stellen bzw. investiert lediglich stark in Lehrerstellen”, erklärt Josef Zollneritsch den Ursprung der Probleme. Er hält den Fokus allein auf Lehrkräfte für nicht zielführend.

Noch im Sommer 2021 schrieb der STANDARD von zirka 6.100 Schüler:innen, die ein:e einzige:r Schulpsycholog:in betreuen muss. Zollneritsch: „Wenn ich das richtig im Kopf habe, gibt es dazu eine WHO-Empfehlung, die liegt, glaube ich, bei 1:3500. Wir in Österreich haben aktuell eine Situation von 1:5000-1:5500. Das bedeutet, die schulpsychologische Versorgung würde aktuell knapp doppelt so viele Schulpsycholog:innen brauchen.” Die Annenpost erkundigte sich bei der WHO direkt nach genauen Zahlen, bis zur Veröffentlichung des Artikels gab die Organisation keine Antwort.

 

Pandemie sorgte für Umdenken

„Corona als Brandbeschleuniger”, so betitelte UNICEF den Effekt, welchen die Pandemie auf die Schüler:innen hatte. Plötzlich seien sie, neben den bereits genannten Problemen, einer nie dagewesenen Situation ausgesetzt gewesen, welche ihre Psyche zusätzlich belastete. Die Politik wurde auf das Thema aufmerksam und leitete erste Gegenmaßnahmen ein. Zu Beginn des aktuellen Schuljahres gab das Bildungsministerium bekannt, die Stellen für Schulpsycholog:innen aufstocken zu wollen.

Silvia vom Oeversee bestätigt der Annenpost diesbezüglich „leichte Besserungen”. Vor allem unter den Lehrer:innen würden psychische Probleme mittlerweile sehr ernst genommen und nicht als lächerlich abgetan, versichert Frédéric. Auch Zollneritsch nimmt diese positive Entwicklungen war, betont allerdings: „Es wurde erkannt, ja! Es wurde auch reagiert, ja! Aber eben die Intensität und Menge ist nach wie vor ein Problem.” Denn insgesamt gäbe es noch einen sehr großen Aufholbedarf. 

Die Handlungsbereitschaft der Schulen sei aktuell von Bildungseinrichtung zu Bildungseinrichtung noch unterschiedlich stark ausgeprägt. Ausschlaggebend sei die Leitungskultur und das Lehrer:innenteam an der jeweiligen Schule. Eine einheitliche Entwicklung sei bisher aber nur schwer zu erkennen, sagt der Schulpsychologe. 

 

Schülerunion erkämpft Fortschritte

Zu Beginn dieser Woche wurde das Mental-Health Jugend-Volksbegehren, welches eine bessere psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen fordert, durch 138.000 Unterschriften als Entschließungsantrag ins Parlament gebracht und einstimmig angenommen. Laut dem Bundesobmann der Schülerunion Manuel Kräuter sei davon auszugehen, dass darüber bereits Anfang März im Nationalrat debattiert werden könnte, teilte Kräuter der Annenpost mit.

Zentrale Punkte des Begehrens sind die Früherkennung und Prävention durch das persönliche Umfeld. Unter anderem werden hier  Aus- und Fortbildungen für Lehrpersonen und die Etablierung von Coaches an den Schulen gefordert. 

Das zweite große Thema umfasst den Ausbau von Schul-Supportpersonal wie Schulpsycholog:innen, Schulpsychotherapeut:innen, Schulsozialarbeiter:innen, Vertrauenslehrer:innen und  Jugend-Coaches. Zuletzt soll das Thema psychische Gesundheit auch mehr Raum in den Lehrplänen und Klassen-Sälen finden. Schüler:innen präventiv zu unterstützen. 

Durch den einstimmigen Beschluss  kann die Bundesregierung zu politischen Maßnahmen sowie Gesetzesentwürfen, allerdings nicht zur Verwirklichung, verpflichtet werden. „Da der Antrag von den Regierungsparteien selbst eingebracht wurde, ist einen Umsetzung von Maßnahmen durchaus Wahrscheinlich”, schätzt DER STANDARD die Chancen des Antrags ein. Welche Punkte dann konkret umgesetzt werden, sei allerdings noch unklar.

 

Titelbild: Die psychische Gesundheit vieler junger Menschen ist extrem angeschlagen – Foto: Pixabay

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