CLIO und steirischer herbst verwandeln einen Spaziergang durch die Annenstraße in eine Geschichtsstunde: Warum und wie die Arisierung nun neu aufgegriffen wird.
Von: Lena Mittermayr, Georg Mausser und Selina Lessiak
„Auch wenn die Geschichte einer Stadt nicht immer sichtbar ist, schlummert sie dennoch immer unter der Oberfläche“, meint Gerald Lamprecht, Professor für Jüdische Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Graz. Er nimmt Bezug auf das Projekt „Schatten der Vergangenheit“, welches er gemeinsam mit Joachim Hainzl und Heimo Halbrainer des Kunst- und Kulturvereins CLIO kuratiert. Bei Rundgängen durch die Annenstraße wird mithilfe von lilafarbenen Plakaten, welche in den Schaufenstern einst jüdischer Geschäfte angebracht sind, die Geschichte der Arisierung und des Antisemitismus in der Annenstraße erzählt. Die Kooperation zwischen CLIO und dem Centrum für Jüdische Studien Graz ist im Rahmen des steirischen herbst entstanden.
Die Plakate sind zum Teil sehr versteckt und nicht auf den ersten Blick sichtbar. Teils hinter Säulen, teils von milchigen Schaufenstern verborgen, kann es leicht passieren, dass man einfach schnurstracks an den Plakaten vorbeiläuft. „Natürlich hätte man das Ganze auch irgendwo machen können, wo es mehr `fancy` gewesen wäre“, meint Lamprecht, doch das hätte das Ziel ihres Projekts verfehlt. Gezielt mit jenen Menschen in den Dialog treten, die heute jene Geschäfte bewohnen, wo einst Jüd:innen lebten und ihre Geschäfte hatten – das sei es, worum es letzten Endes geht.
Joe Niedermayer, Vorsitzender des Vereins RosaLila PantherInnen, erfuhr beispielsweise erst durch das Projekt “Schatten der Vergangenheit” und dem Aushang der Plakaten von der langen Geschichte des Gebäudes, in dem sich heute die LGBTIQ-Interessenvertretung befindet. “Das Projekt bringt einem die tragische Vergangenheit näher”, meint Niedermayer. Im Fall der RosaLila Pantherinnen jene von Moritz Friedländer, welcher vor der Arisierung eine Kleinhandlung in der Annenstraße 27 besaß. 1938 wurde sein Geschäft liquidiert und er verließ daraufhin Österreich. Nach 1945 lebte er weiterhin in Israel/Palästina und kehrte nicht mehr in seine Heimat zurück. An vielen weiteren Standorten entlang der Annenstraße, verstecken sich hinter den Gebäuden weitere individuelle Geschichten von Jüd:innen, welche in der Straße lebten sowie arbeiteten.
Ziel des Projekts sei schließlich auch , die Forschungsergebnisse und geschichtlichen Erkenntnisse der letzten Jahre auf anschauliche und subtile Art mit der Öffentlichkeit zu teilen – und „all dies nicht im stillen Kämmerchen zu machen“, wie Lamprecht betont. Zudem stellt er klar: “Die Frage, ob nicht schon alles erforscht ist, geht ins Leere.” Stattdessen ginge es darum, welche gegenwärtigen Fragen wir noch an die Vergangenheit stellen können.
Schlussendlich geht es bei dem Projekt nicht nur darum, Forschungen zu präsentieren. Neben der historischen Arbeit steht insbesondere auch Erinnerungsarbeit im Vordergrund. Erinnerungen an die Menschen, die vertrieben, beraubt und zum Teil ermordet worden sind – so wie die Geschichte von Moritz Friedländer zeigt.
Titelbild: Guide Laurenz Henkel führt die Redaktion durch die Annenstraße. Foto: Lena Matuschik