Ukraine-Flüchtlinge: Zwischen Krieg und “Komfortrealität”

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Vor genau zwei Jahren überfiel Russland die Ukraine. Maria Shpigunova und Olenna Bolakh erzählen, wie sich das Leben in Graz seither anfühlt und worauf sie hoffen.

Wer den ukrainischen Kulturverein Ridna Domivka in der Annenstraße betritt, den springen sofort die bunten Bilder an der Wand an. So wie jedes Bild eine Geschichte erzählt, kommen in diesem Raum auch viele Geschichten von ukrainischen Familien zusammen, die seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 nach Graz geflüchtet sind. Der Austausch im Vereinslokal am Roseggerhaus gibt vielen die Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten und hilft dabei, sich hier zumindest vorübergehend ein neues Leben aufzubauen.

Ridna Domivka

Der ukrainische Kulturverein „Ridna Domivka“ in der Annenstraße 20 hilft Ukrainer:innen, sich in Graz zurechtzufinden. Die Worte “Ridna Domivka” werden mit “Füreinander da sein” übersetzt, was das ursprüngliche Ziel des Vereins ist. Hier möchte man ukrainischen Menschen ein “zweites Zuhause“ bieten. Durch zahlreiche Projekte wie Konzerte oder Filmabende versucht der Verein, auch den Austausch der Kulturen anzukurbeln und den Menschen in Österreich die ukrainische Kultur ein Stück näherzubringen. Vor zwei Jahren, als viele Menschen aus der Ukraine nach Graz gekommen sind, erweiterte der Verein sein Angebot um humanitäre Hilfe, Sachspenden für das alltägliche Leben, Deutschkurse und psychologische Angebote, erzählt Maria Mitic. Die gebürtige Ukrainerin lebt bereits seit über zehn Jahren mit ihrem Mann in Österreich und ist seit 2020 Mitglied des Vereins. Sie möchte anderen Ukrainer:innen helfen, sich hier in Österreich zurechtzufinden, da sie selbst weiß, wie schwierig das ist. 

Maria Mitic ist bereits seit der Gründung des Kulturvereins im Jahr 2020 Mitglied. Das ursprüngliche Ziel  war es, eine bilinguale Schule für Kinder anzubieten. – Foto: Judith Hohl

Für die Menschen, die ihre Heimat aufgrund des Kriegs verlassen mussten, hat sich das Leben schlagartig verändert. So ist es auch für die beiden aus Kiew stammenden Frauen Maria Shpigunova und Olenna Bolakh. Sie leben nun seit einem Jahr und neun Monaten in Graz. Olenna Bolakh wohnt mit ihrer Mutter und Tochter zusammen, während Maria Shpigunova gemeinsam mit ihrer Tochter, Mutter, Schwester und Tante in Graz lebt. Das Leben in der Ukraine und das Leben hier in Österreich seien nicht zu vergleichen. „Vor einem Jahr war es sehr schwierig, auch nur etwas zu kaufen“, erzählt Olenna Bolakh. Grund dafür waren die mangelhaften Deutschkenntnisse, welche sie nun durch Kurse an der Grazer Universität verbessern konnte. Vor allem das Arbeiten vermissen die  Frauen sehr, die in der Ukraine als Dolmetscherin und Anwältin gearbeitet haben. Sie sind es nicht gewohnt, nicht zu arbeiten. Die Arbeitssuche gestaltet sich hier aufgrund fehlender Sprachkenntnisse aber schwierig, erklärt Maria.

Sicherheit oder Familienzusammenhalt

Das Ausreiseverbot für 18- bis 60-Jährige männliche ukrainische Staatsbürger und die Trennung der Familien stellt für viele Geflüchtete eine große emotionale Belastung dar. Aus diesem Grund entscheiden sich viele, zurück in die Ukraine zu gehen, obwohl dort Krieg herrscht. Olennas Schwägerin ist eine von ihnen. Sie habe die Trennung nicht mehr ausgehalten. Auch für Olenna ist die Trennung von ihrem Mann nicht einfach. „In der Vergangenheit hatten wir eine komplette Familie und emotionale Unterstützung von unseren Männern“, erzählt Olenna. Die Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen, ist ihr nicht leichtgefallen. „Die Sicherheit der Kinder und der Zusammenhalt der Familie muss abgewogen werden. Das ist eigentlich eine Entscheidung, die man nicht treffen kann“, erklärt sie. Trotzdem geben Olenna und Maria die Hoffnung nicht auf, eines Tages mit ihren Familien ein sicheres Leben in ihrer Heimat führen zu können. 

Maria Shpiugonova und Olenna Bolakh besuchen regelmäßig den Kulturverein, um ihre sozialen Kontakte, auch mit der Mitarbeiterin Maria Mitic, zu pflegen. – Foto: Judith Hohl

Ein Leben in Ungewissheit

Ob sich diese Hoffnung erfüllen wird, wissen weder  Olenna noch Maria. Sie wissen nicht, wie sich die Situation in der Ukraine entwickelt und ob ihre Wohnungen dann noch bewohnbar sein werden. Früher gab es den Luxus zu planen. Heute haben sie  keine Antwort, wenn sie gefragt werden, wie sie den Sommer verbringen werden. Zwei Mal im Jahr treffen sie ihre Männer, die seit Kriegsbeginn als Soldaten im Einsatz sind. Sie bekommen einen Anruf und eine Woche später findet bereits das Treffen statt. Olenna ist ständig mit ihrem Mann, der in der Ukraine ist, in Kontakt. Über den Krieg und das, was dort aktuell passiert, reden sie aber nicht.

Soziale Kontakte sind laut den beiden sehr hilfreich. Sei es bei bürokratischen und organisatorischen Fragen oder als emotionale Unterstützung, um das Erlebte zu verarbeiten. Das psychologische Hilfsangebot für Erwachsene sei in Graz sehr  begrenzt. Zwar haben sich die beiden  in Österreich gut eingelebt, sie leben einigermaßen komfortabel und werden von ihrem Umfeld unterstützt. Aber das Privatleben sei trotzdem „amputiert“, sagt Olenna.

Der Wille zu helfen stirbt

Seit fast zwei Jahren leben viele Ukrainer:innen in Österreich. Zu Beginn war die Hilfsbereitschaft seitens der Österreicher:innen sehr groß, erinnert sich Maria Mitic. Doch sei diese inzwischen deutlich zurückgegangen. „Alle sind müde. Sie wollen die blutigen Details nicht wissen!“, sagt sie. Aus diesem Grund versucht der Verein, Interesse für die Ukraine – nicht nur für den Krieg –  sondern die Kultur, Menschen und Traditionen zu wecken. 

Auch Maria und Olenna ist aufgefallen, dass das Thema weniger Öffentlichkeit hat. Die Solidaritäts-Demonstrationen,  an denen auch die beiden 2022 teilgenommen haben, gibt es nur mehr zu besonderen Anlässen. Diesen Samstag, zum zweiten Jahrestag, findet eine Demonstration unter dem Titel “ Stop Russian Terror in Ukraine” um 16 Uhr am Grazer Hauptplatz statt. „Zuerst gab es mehr Aufmerksamkeit für unsere Probleme. “Viele denken inzwischen, dass die Ukraine sicher ist“, glaubt Maria. Natürlich ist es verständlich, dass die Menschen hier ihr Leben weiterleben. Aber für sie selbst ist es, als würden sie in zwei verschiedenen Realitäten leben. „Wir leben hier in der Komfortrealität – und dann gibt es noch die Realität in unserer Heimat“, erklärt sie.

 

Infos für alle die helfen wollen

Helfen Sie durch: Geldspenden, Medikamente, Verbandszeug sowie Hygieneartikel

Spendenmöglichkeiten an den Kulturverein:

IBAN AT832011184321147100

Verwendungszweck 1: Humanitäre Hilfe für die Ukraine

Verwendungszweck 2: Unterstützung Vereinstätigkeit

 

Veranstaltungen rund um den Ukrainekrieg

Office Ukraine Graz:

Plakatserie Home:

Ukrainische Künstler:innen die in Graz und in der Ukraine leben, stellen in einer 10-teiligen Plakatserie die Emotionen, Erfahrungen und Herausforderungen von ukrainischen Familien dar. Ausstellung von 15. bis 28. Februar;, Location: 20 City Lights im Grazer Stadtraum

Kurzfilm Screening: Ukrainian war-time animation: 

Sa. 24. Februar und So. 25 Februar, 17:00 – 21:00 Uhr; Ateliergemeinschaft zur Forschung am fotografischen Bild und visuellen Medien, Griesgasse 26, 8020 Graz

Kontakt und weitere Infos: Coordination office – the »Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists« (artistshelp-ukraine.at)

Ridna Domivka: 

Benefizausstellung in der Arkadengalerie der Herz-Jesu-Kirche des ukrainischen Künstlerpaars Olga und Alexej Karlow; Vernissage: Do. 7. März,19:00 Uhr, geöffnet bis 30. März sonntags 9.30-11.30 Uhr

Kontakt und weitere Infos: Kontakt | Ukrainischer KV Graz (ridnadomivka.at)

 

Titelbild: Olenna und Maria leben seit fast 2 Jahren in Graz und geben einen Einblick in ihr Leben. – Foto: Judith Hohl

 

Ich wurde 2005 in Feldbach geboren, wo ich 2023 am BRG maturiert habe. Seit Oktober 2023 studiere ich Journalismus und PR an der FH Joanneum in Graz. Wenn ich nicht gerade auf der Suche nach einer interessanten Story für die Annenpost bin, lese ich gerne, höre Musik oder unternehme etwas mit meinen Freunden.

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