Neue Perspektiven für die Grazer Bezirksdemokratie

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Bei einem Konvent soll noch im Frühjahr die Grazer Bezirksdemokratie gestärkt werden. Wir haben Vertreter:innen aller Gemeinderatsparteien zu ihren Vorstellungen befragt – ein Überblick.

Mehr als 40 Jahre nach ihrer Einführung ist die Bezirksdemokratie in Graz in die Jahre gekommen. Ihre Stärkung war bereits während der Koalitionsverhandlungen ein Thema für die Grazer SPÖ, die Grünen und die KPÖ. Aktuell besteht die Hauptaufgabe der 17 Grazer Bezirksräte vor allem darin, die Interessen der Bevölkerung gegenüber den städtischen Organen wie dem Gemeinderat oder der Bürgermeisterin wahrzunehmen – aber da ginge noch mehr. Daher beschloss der Gemeinderat auf Antrag des Grünen Klubobmanns Karl Dreisiebner im April 2022, die Bezirksdemokratie zu bewerten und aufzuwerten.

Reformpaket kommt 2024

2024 soll dazu ein Konvent stattfinden, der genaue Termin steht noch immer nicht fest, obwohl der Konvent ursprünglich bereits im Jänner stattfinden sollte. Je drei Bezirksrät:innen sowie ein:e Gemeinderätin jeder Fraktion werden dort gemeinsam mit Vertreter:innen der Verwaltung alle eingebrachten Reformvorschläge diskutieren. Martin Amschl (SPÖ), Bezirksrat in Lend, blickt dem Konvent jedenfalls positiv entgegen: ”In vielen Punkten unterscheiden sich die Forderungen der Parteien nur in kleinen Nuancen. Das gemeinsame Ziel ist die Aufwertung der Bezirksdemokratie.” Hanno Wisiak, KPÖ-Bezirksvorsteher in Geidorf, betont, dass es viele Punkte gibt, die magistratsintern geregelt werden können. “Andere Dinge werden aber die Änderung von Landes- oder Bundesgesetzen brauchen. Dabei ist nicht klar, ob es dafür im Landtag oder im Nationalrat Mehrheiten gibt”, gibt er zu bedenken.

Die Annenpost hat alle im Gemeinderat vertretenen Parteien im Vorfeld des Konvents gebeten, ihre Ideen für die Reform vorzustellen. Eine Zusammenfassung der Vorschläge und Kontroversen in einem Politikfeld, das mehr Öffentlichkeit verdient. Immerhin wäre Lend mit 36.000 Einwohner:innen eigentlich die zweitgrößte Stadt der Steiermark – deutlich vor Leoben mit knapp 25.000.

Die größten Kontroversen

Uneinigkeiten unter den Parteien gibt es zum Beispiel in puncto Budgeterhöhung. Aktuell erhält jede Bezirksvertretung einen Euro pro Bezirkseinwohner:in. Eine Erhöhung auf 2 Euro pro Einwohner stellt sich die SPÖ vor. Die Grünen wiederum fordern eine Budgeterhöhung und zwar im Ausmaß von 1,50 Euro pro Jahr und Einwohner. Auch NEOS würde einer Budgeterhöhung im Ausmaß von 2,50 bis 5 Euro zustimmen, allerdings nur, wenn damit Investitionen bis 5.000 Euro direkt vom Bezirksrat realisiert werden können. Unter den Forderungen der ÖVP findet man ebenfalls die Erhöhung auf 5 Euro pro Einwohner:in mit Hauptwohnsitz. Die FPÖ steht den Vorschlägen nach einer Erhöhung kritisch gegenüber – vor allem da die Stadt Graz schon jetzt über zu wenig Geld verfüge. Die vor einem Jahr von der FPÖ abgespaltenen “Korruptionsfreien” (KFG) erachten einen Sockelbetrag von 1 Euro pro Person und zusätzlich ein Budget von 10.000 Euro für sinnvoll.

Ebenfalls umstritten: Die KPÖ fordert eine Abschaffung der:des zweiten  Bezirksvorsteher:in-Stellvertreter:in, NEOS schließt sich diesem Vorschlag an. Die SPÖ hingegen möchte diese Position unbedingt beibehalten.

SPÖ: Mehr Bürgernähe

Auf mehr Bürgernähe will die SPÖ – der kleinste Partner der aktuellen rot-grün-roten Rathauskoaltion – setzen. “Das Thema Bezirksdemokratie ist mir schon immer sehr am Herzen gelegen”, sagt dazu SPÖ-Bezirksrat Martin Amschl. In Graz sind Bezirksrät:innen mit Ausnahme der Bezirksvorsteher ehrenamtlich tätig und werden wie der Gemeinderat alle fünf Jahre neu gewählt. Seine Begeisterung für die Politik entdeckte Amschl bereits während seines Geschichte-Studiums. 

Eine Forderung aus dem Demokratiepaket hebt er besonders hervor: Das Ende der Anmeldepflicht in den Servicestellen. Diese war während der Corona-Pandemie eingeführt worden. “Eine Abschaffung würde zu mehr Bürgernähe führen”, ist Martin Amschl überzeugt.

Martin Amschl hat an der Entstehung des SPÖ-Demokratiepakets mitgewirkt. Foto: Sarina-Danielle Pinczar
Martin Amschl hat an der Entstehung des SPÖ-Demokratiepakets mitgewirkt. Foto: Sarina-Danielle Pinczar

Weiters fordert die SPÖ – ebenso die KFG –, dass Anträge der Bezirke an den Gemeinderat innerhalb von drei Monaten beantwortet werden müssen. NEOS sieht sogar eine Beantwortung binnen acht Wochen vor. “Entweder man gibt dem Bezirksrat mehr Kompetenzen oder man kann ihn gleich abschaffen”, sagt Amschl bestimmt.

KPÖ: Schwerpunkt Informationspolitik

Die Partei der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr, die KPÖ, setzt bei ihren Reformvorschlägen vor allem auf eine bessere Informationspolitik. Bezirksvorsteher Hanno Wisiak hebt die Wichtigkeit der Bezirksrät:innen hervor: “Bezirksrät:innen haben ihr Ohr sehr direkt an der Bevölkerung, sind direkte Ansprechpartner:innen, können aber mangels Kompetenzen oft nicht viel bewirken.” 

Damit der Informationsfluss stets gegeben ist, sieht die KPÖ eine Frist zur Einreichung von Anträgen vor. Durch die Frist soll jede:r Bezirksrät:in die Möglichkeit haben, eigene Recherchen zum Thema anzustellen oder betreffende Stellen selbst in Augenschein zu nehmen um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Zukünftig soll es auch möglich sein, Anträge direkt an Stadtsenatsmitglieder oder gesetzgebende Körperschaften zu richten. Dieser Vorschlag wird auch von NEOS und KFG befürwortet. Auch eine Fragestunde für Bezirksrät:innen im Gemeinderat wird angedacht.

FPÖ: Aufstockung der Bezirksräte

Für die FPÖ war Bezirksrat Daniel Konrath aus Gries hauptverantwortlich für die Entwicklung von Reformvorschlägen. “Aktuell wissen viele Leute nicht einmal, was der Bezirksrat machen kann und das hat viele ungültige Wählerstimmen zur Folge”, sagt Konrath. Dem will die FPÖ mit mehr Transparenz entgegenwirken. So sollen Bezirksratsdokumente wie Anträge und Protokolle auf der Webseite der Stadt Graz veröffentlicht werden – hierfür findet man unter anderem Zustimmung bei der abgespaltenen KFG. Zur Aufwertung der Bezirksversammlungen soll eine Live-Übertragung, sowie ein Tagesordnungspunkt eingeführt werden, der jeder Partei die Möglichkeit gibt, die eigenen Leistungen vorzustellen.

Daniel Konrath war federführend am FPÖ-Reformprogramm beteiligt. Foto: Sarina-Danielle Pinczar
Daniel Konrath war federführend am FPÖ-Reformprogramm beteiligt. Foto: Sarina-Danielle Pinczar

Besonders stolz erzählt Daniel Konrath von der Idee, die Anzahl der Bezirksräte zu vergrößern. Gemäß der Grazer Gemeindewahlordnung setzt sich die Zahl der Bezirksrät:innen derzeit aufgrund der Einwohnerzahl zusammen – das ergibt eine Anzahl von sieben bis 19 Bezirksrät:innen. Durch eine Erhöhung könne die Einzugshürde in den Bezirksrat verringert und gleichzeitig die Parteienvielfalt gestärkt werden. “Davon würden vor allem die kleineren Parteien profitieren.“ 

Grüne: Konkretisierung der Bezirksdemokratie

“Der Bezirksrat ist ein wichtiges Gremium, dem es allerdings an Durchsetzungskraft fehlt”, kritisiert der stellvertretende Bezirksvorsteher Benjamin Kaan der Grünen aus Lend. Aktuell befindet er sich in Bildungskarenz. “Es ist oft unklar, wofür der Bezirk zuständig ist und unsere Anträge haben keine bindende Kraft.” Im Fokus steht für die Grünen daher die Vereinheitlichung und Konkretisierung der Vorgaben. Es werden klare Strukturen für den Ablauf der einmal jährlich stattfindenden Bezirksversammlungen gefordert. Klubobmann-Stellvertreter Tristan Ammerer ist als Konvent-Teilnehmer nominiert. Exemplarisch führt er als Forderung an, dass für jeden Bezirk ein:e Gemeinderät:in benannt wird, die:der als Berichterstatter:in für Gemeinderatsstücke fungiert, die den jeweiligen Bezirk betreffen.

NEOS: Umstrukturierungen im Wahlsystem

Die NEOS-Forderungen wurden von Karl Krachler, NEOS-Bezirksrat aus Geidorf, erarbeitet. Unter anderem soll die Wahl der Bezirksvorsteherstellvertreter:innen reformiert werden. Aktuell reicht nämlich eine einzige gültige Stimme für dieses Amt. Derzeit ist es möglich, auch in dem Bezirk, in dem man arbeitet, für den Bezirksrat zu kandidieren. Zukünftig soll dieses Recht auf den Hauptwohnsitzbezirk beschränkt werden. Auch die Gelöbnisformel soll wie folgt erweitert werden: “[…] des Wohles der Stadt Graz bzw. [Bezirksname] nach bestem Wissen und Gewissen.“

ÖVP: Proporzsystem

Die ÖVP hat ein 10-Punkte-Forderungsprogramm eingereicht. Besagtes Programm beinhaltet Statuten- und Geschäftsordnungs-Änderungen. Eine Forderung, ebenfalls das Wahlsystem betreffend, ist, dass die Bezirksvorsteher nach dem Proporzsystem ernannt werden. Das bedeutet, dass die stimmenstärkste Fraktion automatisch den Bezirksvorsteher stellt. Eine weiterer Vorschlag ist, dass der Bezirksrat bereits in der Einreichungsphase von Bauvorhaben und bevorstehenden Veranstaltungen informiert wird. Die Forderung, nach mehr Informationen, was Bauprojekte betrifft, findet man unter anderem auch in den Vorschlägen von SPÖ, KPÖ und KFG. 

KFG: Ehrenamt verabschieden

Die KFG möchte, dass die Arbeit der Bezirksrät:innen künftig auch finanziell honoriert wird. Die Bezirksvorsteher sollen weiterhin ein Gehalt beziehen, derzeit sind das € 1.974,50, und  Stellvertreter:in sollen 50 % davon erhalten. Außerdem sollen alle Bezirksrät:innen, die kein Gehalt bekommen, ein Sitzungsgeld von 70 Euro pro Bezirksratssitzung bekommen. “Die städtischen Ämter sollen durch eine gestärkte Bezirksdemokratie entlastet werden”, so KFG-Pressesprecherin Jasmin Hans.

Konsens finden

“Wir hoffen, dass der Kovent noch vor dem Sommer 2024 stattfinden wird”, bedauert Antragsteller Karl Dreisiebner, dass der Konvent verschoben werden musste. Er verweist darauf, dass die Clusterung der Vorschläge, sowie die gesetzliche und geschäftsordnungsmäßige Kommentierung durch die Verwaltung mehr Zeit als erwartet in Anspruch nimmt. Bevor das fertige Reformpaket dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorgelegt wird, werden Verwaltungsjurist:innen verwaltungs- und verfassungsrechtliche Empfehlungen an den jeweiligen Ausschuss abgeben. Sollte in gewissen Punkten kein Konsens zustande kommen, werden die Vorschläge dem Gemeinderat ebenfalls zur finalen Abstimmung vorgelegt, sofern sich mindestens 20 Prozent der stimmberechtigten Konventteilnehmer:innen dafür ausgesprochen haben. 

 

Titelfoto: Der Konvent wird im Rathaus abgehalten werden. Foto: Sarina-Danielle Pinczar

Geboren 2002 und aufgewachsen in der südsteirischen Weinregion Gamlitz, jetzt wohne ich in Graz. Seit Oktober 2023 studiere ich Journalismus und PR. Davor habe ich die Handelsakademie absolviert und meine Begeisterung für Politik entdeckt.

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