Die Diagonale – „Wie ein Termitenbau, der in unterschiedliche Richtungen wächst“

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Mit neuen Ideen, Hoffnungen und „Flugzeugpolster”: Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh. Wir lernen die Personen hinter ihrer Rolle als Festivalintendanz kennen. 

von Helene Bauer und Maria Hintermayr

Annenpost: Wie ist eure derzeitige Gefühlslage so kurz vor der Eröffnung?

Claudia Slanar: Ich bin gespannt, voller Erwartung, aufgeregt in einem positiven Sinne.

Dominik Kamalzadeh: Vorfreude.

Claudia Slanar: Vorfreude, genau. Es gibt schon einige Dinge, die noch zu tun sind. Aber es fügt sich alles schon ineinander.

Dominik Kamalzadeh: Christine Dollhofer hat das Festival 1998 gemeinsam mit Constantin Wulff geleitet. Sie meinte schon, es sei am schönsten, wenn die Eröffnung nicht vorbei ist, aber zumindest irgendwie schon läuft und dann kann man es sozusagen richtig genießen. Auf den Moment freue ich mich besonders. Es ist natürlich im ersten Jahr ein bisschen surreal, weil wir noch nicht die Erfahrung haben, wie es ist, diesen ganzen Prozess der Vorbereitung in ein konkretes Festival umzusetzen. Aber es deutet sich jetzt schon so an mit den Fahnen, die plötzlich tatsächlich in der Stadt hängen. Es wird jetzt von Tag zu Tag realer.

Fahnen der Diagonale am Schlossberg – Foto: Harald Wawrzyniak

Annenpost:  Wie würdet ihr euch selbst mithilfe eines Filmtitels beschreiben?

Slanar: Oh Gott, das ist schwer. Das hatten wir auch noch nie.

Kamalzadeh: Eine richtig gute Frage (lacht). „Rebel Without a Cause” von Nicholas Ray. Das war natürlich jetzt eine blöde Antwort, nein.

Slanar: Der letztjährige Eröffnungsfilm, wie hieß der? „Das Tier im Dschungel”? Ja, genau! Aber das ist eine schwierige Frage. Beinahe unmöglich zu beantworten.

Kamalzadeh: „Touki Bouki – die Reise der Hyäne” sage ich einfach. Großartiger Film von einem afrikanischen Regisseur. 

 

Annenpost:  Was wünscht ihr euch von den kommenden Jahren der Diagonale auf persönlicher Ebene und welche Erfahrungen würdet ihr gerne mitnehmen?

Slanar: Auch eine gute Frage. Wir gehen heute in die Tiefe. Ich kann mir, glaube ich, nichts erwarten, weil die Erfahrungen mache ich dann, wenn es geschieht. Alles einfach auf mich zukommen lassen, dass ich viel dazu lerne. Das ist auch immer mein Motor, dass ich neugierig bin und mir denke „Das habe ich noch nicht probiert, da könnte ich was lernen!” Ich sammle gerne neue Erfahrungen und neues Wissen.

Kamalzadeh: Wir haben uns ja entschieden, an einem Zeitpunkt das zu machen, wo wir beide das Gefühl hatten, wir müssen uns beruflich neuen Herausforderungen stellen. Ein bisschen ist diese Erfahrung wie so ein Filmdreh, wo man ein Drehbuch, einen Cast und ein neues Projekt hat, das sich jetzt mehrere Jahre entwickeln wird. Bis zu einem gewissen Grad weiß man ja aus den letzten Jahren, wie sich dieses Projekt entwickelt. Aber der richtig tolle Teil daran ist genau der, den man nicht kennt, der einen überrascht, spontan auf neue Wege, zu neuen Erfahrungen und Erkenntnissen führt. Das ist vielleicht der Teil, auf den man hofft und auf den man setzt (lacht). Da spricht der Optimist in mir.

 

Annenpost: Wie würdet ihr die diesjährige Diagonale in drei Worten beschreiben?

Kamalzadeh: Auch nicht leicht. „Überraschungsreich”, hopefully (Kurze Stille). Sagst du auch was, Claudia?

Slanar: Ja, ich denke noch. „Vielstimmig” wäre eigentlich auch gut.

Kamalzadeh: Und vielleicht in einem guten Sinne „kontrovers”.

 

Annenpost: Wie seht ihr die Rolle der Stadt während des Festivals? 

Slanar: Also wir sehen Graz als ganz wichtigen Faktor. Wir waren positiv überrascht von der Tatsache, wie sehr das Festival in die kulturelle Landschaft eingebunden ist. Einerseits diese Vorfreude aufs Festival und andererseits dieses klare Bekenntnis dazu: „Das Festival wollen wir hier in der Stadt!” Ich finde die Zusammenarbeit auch sehr gut. Also in so einem pragmatischen Sinne. Man muss mit verschiedenen Stellen der Stadt, beispielsweise der Stadtverwaltung, tatsächlich kooperieren, weil du kannst nicht Fahnen aufstellen, ohne Anträge dafür zu stellen. Die Zusammenarbeit war immer sehr wertschätzend.

Kamalzadeh: Ich glaube, es ist eine wunderbare Stadt für ein Festival. Es gibt ja viele analoge Modelle. Manche Städte sind zu groß, manche sind reine Erholungsgebiete wie Cannes und zu klein meiner Meinung nach. Graz ist, finde ich, optimal von der Größe und bietet dem Festival ein schönes Environment. Die Leute fühlen sich wohl, es ist überschaubar und zugleich hat es trotzdem eine kosmopolitische Anmutung, was ich wichtig finde.

 

Annenpost: Ihr habt euch im Interview mit der „Kleinen Zeitung” den Namen  „Diagonale Natives” gegeben, ihr kennt sie quasi seit Anbeginn. Inwiefern findet ihr, hat sich das Festival seit 1998 weiterentwickelt? 

Kamalzadeh: Ich glaube, es entwickelt sich nicht linear, sondern mit jeder Intendanz ein bisschen woanders hin. Es ist irgendwie mehr so ein Termitenbau, der in verschiedene Richtungen wächst. Das Grundkonzept ist gleich geblieben. Es präsentiert ein kuratiertes Jahresvolumen an österreichischen Produktionen. Das Native sein, glaube ich, ist dann insofern gut, als das man diesen Überblick hat und sozusagen die eigenen Vorstellungen dann immer wieder auch damit abgleichen kann. Inwiefern schließen wir mit dem Programm zum Beispiel jetzt international an? Das war so eine Entscheidung, die vielleicht in den letzten Jahren nicht so präsent war.

 

Annenpost: Habt ihr eure Aufgabe als Intendantenduo bis jetzt schon einmal bereut? 

Kamalzadeh: (schmunzelnd) Vielleicht als ich manchmal um zwei Uhr nachts, während ich die eingereichten Filme angeschaut habe, mit so einem „Flugzeugpolster” (Anmerkung der Redaktion: Nackenkissen) um den Hals am Sessel eingeschlafen bin. Da habe ich kurz mal gedacht: „Puh!”, aber richtig bereut habe ich es nicht. 

Slanar: Es gab schon Momente, wo ich überwältigt war. Als ich mir zum Beispiel das Excel-Spreadsheet mit all den Filmen, die wir noch anschauen sollten, gesehen habe, habe ich mir gedacht: „Was, 300 noch?” Das ist mir so vorgekommen, als wäre das nie enden wollend. Im Endeffekt ging es natürlich doch.

Slanar und Kamalzadeh sehen ihre Leitungsrolle als neue berufliche Herausforderung – Foto: Miriam Raneburger

Annenpost: Habt ihr einen persönlichen Favoriten aus dem diesjährigen Filmprogramm?

Kamalzadeh: Es gibt einen Film, den ich nennen kann, den ich tatsächlich nicht kenne. Das ist „Eisenhans” von Tankred Dorst. Deswegen ist es natürlich nicht mein persönlicher Favorit. Er ist kuratiert von Christoph Hochhäusler, dem wir eine Retrospektive widmen. Das wäre so ein Film, den würde ich mir anschauen, wenn ich jetzt die Zeit hätte.

Slanar: (nachdenklich) Hmm. Also ich finde es eine gute Vorgabe zu sagen, es ist ein Film, den ich noch nicht kenne. Dann lege ich jetzt allen die „Carte Blanche” von Lisl Ponger ans Herz. Da gibt es einen Film von Rivane Neuenschwander, den ich noch nicht kenne, wo es um Ameisen geht. 

Kamalzadeh: Ich finde, das Programm ist wie eine Fundgrube.

Slanar: Ja, genau! Ich denke, es ist ein Programm, wo ganz viele unterschiedliche Eindrücke und unterschiedliche Strategien aufeinandertreffen und es ist für jeden was dabei. Ich bin gespannt, wie das funktioniert.

Informationen

Die gebürtige Wienerin Claudia Slanar studierte Kunstgeschichte an der Universität Wien, danach Aesthetics and Politics und Creative Writing am California Institute of the Arts. Seit 2014 ist sie Kuratorin des Ursula Blickle Video Archivs und programmiert seit 2017 das Blickle Kino. Zudem unterrichtet sie an Hochschulen, ist Autorin und Mitherausgeberin.

Dominik Kamalzadeh hat Theater- und Filmwissenschaften in Wien studiert, ist seit 1998 Filmkritiker und mittlerweile auch Kulturredakteur bei „Der Standard”. Außerdem ist er im Redaktionsteam der Filmzeitschrift „kolik.film“. Der Autor und Kurator ist seit 2022 Mitglied in der Auswahlkommission der Duisburger Filmwoche.

Diagonale: Festival des österreichischen Films: 4.–9. April 2024, Graz

Filmprogramm: https://www.diagonale.at/spielplan/

Ticketverkauf: https://www.diagonale.at/tickets/

 

Titelbild: Der Filmkritiker Dominik Kamalzadeh und die Filmkuratorin Claudia Slanar – Foto: Lorenz Seidler



 

Hallo, mein Name ist Helene Bauer. Ich studiere Journalismus & PR an der FH Joanneum. Dieses Semester darf ich gemeinsam mit meinen Studienkolleg:innen den hyperlokalen Weblog "Annenpost" betreuen. Dabei flanieren wir auf der Suche nach spannenden Geschichten durchs Annenviertel, hören und schauen uns um was die Menschen gerade bewegt und stellen diese Erlebnisse in Geschichten dar. Viel Freude beim Lesen der Annenpost! <3

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