Die Menschheit träumt von einer heilen Welt. Besonders in letzter Zeit scheint durch die vielen Krisen die Sehnsucht danach immer größer zu werden. Die Ausstellung „Schnittstelle #2: Heile Welt“ im Freien Atelier Schaumbad nimmt sich diesem Thema an. Und wie sieht eine heile Welt für die Bewohnerinnen und Bewohner des Annenviertels aus?
Am Freitag wurde im Freien Atelierhaus Schaumbad die Ausstellung „Schnittstelle #2: Heile Welt“ eröffnet. Fünf Grazer und fünf internationale Künstlerinnen und Künstler stellen ihre Werke zu diesem Thema aus. Der Kurator Martin Baasch führt uns durch die Ausstellung:
Künstlerische Interpretationen einer heilen Welt
„Heile Welt? 2024?“ Es sei zu Beginn schwierig gewesen, diese zwei Begriffe unter einen Hut zu bringen, erzählt Martin Baasch. Er kam zu dem Schluss, dass „eine heile Welt selten jetzt ist.” Oft würde in der Kindheit oder der fernen Zukunft danach gesucht werden. So begab er sich auf die Suche und fand die unterschiedlichsten Werke. Štěpán Brož‘ Malerei zeigt eine ländliche Landschaft. Sie wird von „apokalyptischen oder postapokalyptischen Wesen – man weiß es nicht genau“ beheimatet, so beschreibt es Martin Baasch.
Su Kim hat sich die Zeit genommen, Haustierbesitzer und ihre Lieblinge kennenzulernen und porträtiert in ihrer Foto-Reihe, was die Tiere für ihre heile Welt brauchen. Für die Videoproduktion von Simon Olubowale und Hannah von Eiff kann in einem kleinen Zelt ein Blick zurück in die Kindheit geworfen werden, ob dort wirklich alles heil war. Eine Sammlung von Allibert-Badezimmerschränken findet ebenfalls Platz in der Ausstellung. “Ein Blick in den Allibert einer Person kann dir mehr über sie sagen, als du in fünf Stunden beim Essen herausfindest”, beschreibt Martin Baasch die Kunst von Markus Wilfing. Auch die weiteren Werke, darunter Malereien und Audioproduktionen, beschreiben eine heile Welt – auf ganz unterschiedliche Art und Weise. „Etwas, das alle Werke gemeinsam haben, ist, dass sie die Hoffnung noch nicht ganz verloren haben“, meint Martin Baasch abschließend.
Eine heile Welt für die Annenviertler:innen
Freitags tummeln sich am Lendplatz rund um den Feierabend die verschiedensten Menschen. Die Sonne scheint sehr hell, sodass sich die meisten in den Schatten verziehen, nur einige wenige lassen sich sonnen. So verschieden wie all die Menschen sind, die hier am Lendplatz vorbeikommen, so verschieden sind auch ihre Vorstellungen einer heilen Welt. Eine Frau, vielleicht Anfang 30, geht flotten Schrittes über den Platz. Eine heile Welt ist ein Ort, „in der jeder die Freiheiten des anderen respektiert“, sagt sie bestimmt und muss dann auch schon wieder weiter. Ähnlich sieht das eine andere junge Frau. Sie trägt eine stylische Sonnenbrille, die den Ton ihrer dunklen Haut widerspiegelt. „A world without judgement“ – eine Welt ohne Verurteilung – bedeutet für sie der Begriff heile Welt.
Ein älterer Mann mit Gehstock und Hörgerät wird bei der Frage nach einer heilen Welt wütend: „Ich war gerade zwei Jahre im Krankenhaus und Sie fragen mich nach einer heilen Welt.“ Ein anderer Herr stellt das ganze Konzept einer heilen Welt in Frage. „Eine heile Welt ist nur ein Konstrukt, das von verschiedenen Figuren versprochen wird.“ Sie müsse eine Utopie bleiben, sonst „geht’s schief“, meint er und verweist dabei auf Sekten und Diktaturen.
Krieg in der heilen Welt
In einer Sache sind sich fast alle befragten Viertelbewohner:innen einig: Eine heile Welt ist eine Welt ohne Krieg. „Es ist alles ertragbar, außer Krieg“, sagt eine Frau mit schwarzem Kopftuch, die gerade ein Eis isst und die Sonne genießt. Auch der junge Mann mit einem Tattoo einer Regenbogenflagge nennt diesen Punkt als erstes. Sie sind auch fast alle der Meinung, dass eine heile Welt etwas ist, das in Zukunft erreicht werden könnte. Dafür müsse sich aber einiges in der Denkweise der Menschen ändern. Eine Frau Anfang 40 meint, man solle nicht in der Vergangenheit oder Zukunft nach der heilen Welt suchen, sondern versuchen, im Hier und Jetzt das Beste daraus zu machen.
Am frühen Abend kommt ein junger Vater mit seinem Sohn, der mit einem Laufrad fährt, über den Lendplatz. „Wir fahren jetzt nach Hause und dann zum See, zum Baden“, sagt der Vater. Sein Sohn lacht und gibt seinem Rad einen kräftigen Stoß. Er macht sich noch keine Gedanken darüber, was in der Welt falsch läuft. Er lebt in seiner eigenen kleinen heilen Welt.
Die Ausstellung „Heile Welt“ ist die zweite in der Reihe „Schnittstelle“. Auch in den nächsten zwei Sommern wird es eine Schnittstelle-Sommerausstellung im Schaumbad geben, bei der ein/-e Gastkurator/-in eingeladen wird, eine Ausstellung zu einem bestimmten Thema zu kuratieren. Die künstlerische Leitung hat seit kurzem Marleen Leitner.
„Schnittstelle #2: Heile Welt“ ist noch bis zum 10. August 2024 geöffnet. Kunstwerke von Máté Bartha, Lisa Hopf, Chun / Ngọc Hà Phạm, Franz Konrad, Štěpán Brož, studio Asynchrome, Su Kim, Simon Olubowale & Hannah von Eiff und Markus Wilfing sind ausgestellt.
Außerdem werden Fahrradspaziergänge mit Joachim Hainzl angeboten, bei dem 46 kleine heile Welten in dem in der Vergangenheit mit Negativem assoziierten Triesterviertel besucht werden.
Titelbild: Kurator Martin Baasch und Künstlerin Su Kim vor ihrem Werk – Foto: Leonie Strametz