An neun öffentlichen Orten in Graz loten Künstler:innen die vielfältigen Gefahren aus, die unserer Demokratie drohen. Katcha Bílek und Consuelo Méndez haben sich für ihre Arbeiten die frisch umbenannte Maria-Stromberger-Gasse ausgesucht.
von Yara Höfer und Magdalena Kurz
Am Europaplatz, mitten in einer Menschentraube, spricht Maryam Mohammadi von der Demokratie und ihrer Zukunft. Sie schließt ihre Eröffnungsrede mit den Worten: „Ich hoffe, dass wir alle noch lange in einer demokratischen Atmosphäre leben und atmen können.” Für die gebürtige Iranerin sowie für einige der Künstler:innen, die an der Ausstellung „Demokratien in Gefahr” teilnehmen, ist das keine Selbstverständlichkeit. Aus diesem Grund wollen sie auf das Thema aufmerksam machen.
„Demokratien in Gefahr” ist eine Ausstellung im öffentlichen Raum, die sich über das ganze Grazer Stadtgebiet erstreckt. Anlass dafür ist ein historischer Jahrestag: 2024 jährte sich der Februaraufstand zum 90. Mal. „Das war auch der Anlass für dieses Projekt”, sagt Joachim Hainzl vom „Verein zur Förderung der soziokulturellen Vielfalt“ (XENOS), der am Europaplatz nach Elisabeth Fiedler, der Leiterin von „Kunst im öffentlichen Raum Steiermark” (KiöR), die Ausstellung eröffnete. Anfang 1934 standen sich der österreichische Ständestaat und die Sozialdemokratie so feindlich gegenüber, dass der Konflikt im Februar in einem mehrtägigen Bürgerkrieg gipfelte. Künstler:innen aus aller Welt beziehen nun, anlässlich dieses Gedenkjahres, zu aktuellen politischen Konflikten und zur Lage der Demokratie im Allgemeinen Stellung. An insgesamt neun Orten entstanden dazu Kunstinstallationen (siehe Infobox).
Initiiert wurde das Projekt vom Verein XENOS und dem Institut KiöR. Im Schatten von richtungsweisenden Wahlen wollen sie damit einen „Beitrag zur Achtung und Verteidigung demokratischer Werte leisten”, wie es in ihrem Folder heißt. Für die Installation am Europaplatz ist das slowenische Künstlerkollektiv IRWIN verantwortlich. “Bezugspunkte” vergleicht das Jahr 1938, mit dem Jahr 1988 und der Gegenwart. Die Aufsteller der Künstler:innen zeigen Fotos eines Nazi-Obelisken und seiner späteren Nachbildung durch den Künstler Hans Haacke am Eisernen Tor. „Ich habe den Eindruck, dass das Vertrauen in die Zukunft und die Demokratie nicht mehr so stark ist wie früher”, erläutert eines der Mitglieder, Borut Vogelnik, warum ihm die Teilnahme an dieser Ausstellung wichtig war.
Der zeitliche Rahmen für die Veranstaltung ist nicht zufällig gewählt. Vom Tag der Wahlen in den USA, dem 5.11., bis zum Tag der Menschenrechte, am 10.12., sind die Werke der Künstler:innnen an Orten zu finden, die eine relevante Rolle in der Geschichte der Demokratie gespielt haben.
Von Auschwitz bis Griechenland
Einer dieser Orte ist die Maria-Stromberger-Gasse. Erst seit Februar dieses Jahres ist nicht länger der bekennende Nationalsozialist Ottokar Kernstock, sondern die Widerstandskämpferin Maria Stromberger namensgebend für diese Straße. Stromberger arbeitete freiwillig als Krankenschwester in Auschwitz und schmuggelte dort unter anderem Medikamente und Briefe für KZ-Häftlinge hinein. Daher ist sie heute als „Engel von Auschwitz” bekannt. Dieses Motiv findet sich nun auch in Consuelo Méndez’ Bild auf der Wand der St. Andrä Kirche (Maria-Stromberger-Gasse 9) wider. „Weltweit ist Demokratie unterschiedlichsten Gefahren ausgesetzt”, betont die Künstlerin. So war es der in Graz lebenden Venezolanerin ein Anliegen, die österreichische Kultur mit ihrer eigenen Sicht auf die Demokratie zu verbinden. Das sei eine sehr poetische und metaphorische Sicht, wie sie selbst sagt. So zieren neben dem „Engel von Auschwitz” eine Reihe bunter Figuren, darunter ein weiblicher, mythologischer Krampus, Méndez’ Wandhälfte.
An der anderen Wandhälfte hat Katcha Bílek gearbeitet. Obwohl die beiden Wandteile separate Kunstwerke darstellen, war es den Künstlerinnen wichtig, eine Verbindung zwischen ihnen zu erzeugen. „Wir haben einen unterschiedlichen Malstil, aber ich habe das Gefühl, dass wir eine Harmonie an diesem Ort geschaffen haben”, erklärt Méndez. Bílek ergänzt: „Wir wollten eine Verbindung; das sind die Farben.”
Diese Farben nutzt Bílek, um ihre Wandmalerei im Pop-Art-Style zu gestalten. Ein Motiv wiederholt sich dabei immer wieder: die Frau. Aus diesem Grund steht auch Justitia im Zentrum, die eine goldene Waage in ihrer rechten Hand hält. Flankiert wird sie von zwei griechischen Säulen, ein Verweis auf den Parthenon-Tempel von Athen, wo die Demokratie ihren Ursprung hat. Für Bílek sind in der heutigen Gesellschaft Frauen noch immer unterrepräsentiert. Deswegen war es ihr wichtig, ihnen einen besonderen Platz einzuräumen. „Alle müssen gleich vertreten sein”, meint sie. Aufgrund dessen schlängelt sich der Schriftzug „Ohne Frauen sind Demokratie und Frieden nicht möglich” über die Zeichnung. Denn: „Die Kunst ist sehr oft ein Spiegel der Gesellschaft”, sagt Bílek.
Facettenreiche Kunst im Annenviertel
Weitere Arbeiten in 8020 finden sich bei der Justizanstal Karlau, vor dem Kunsthaus und in der Lagergasse. Dort hat Doris Jauk-Hinz ein großes Banner mit der Aufschrift “Demokratie leben” gespannt und fragt, ob vermeintliche Sicherheit dazu führt, dass sich Bürger:innen von demokratischen Lebensformen entfernen. „Kunst stellt tiefgehende Fragen”, sagt die Künstlerin zu ihrer Arbeit, die den Titel „Demokratie leben” trägt. „Die Demokratie ist ein fragiles und kompliziertes Gebilde. Aber es ist immer noch das Beste, das wir haben”, ergänzt KiöR- Leiterin und Kuratorin der Ausstellung Elisabeth Fiedler. Die weiteren Kurator:innen waren selbst an der Ausstellung beteiligt.
Maryam Mohammadi, Eva Ursprung und Joachim Hainzl konzipierten ihr Werk an der Mauer der Karlau um drei Bedrohungen für die Volksherrschaft. Mit zugehaltenen Augen, Ohren und Mund stellen sie fotografisch die drei Affen nach, die für Wegschauen, Weghören und Schweigen stehen. In Myanmar wird dieses Stillbleiben bestimmter Bevölkerungsgruppen durch ein patriarchalisches Militärregime erzwungen. Zoncy Heavenly, geboren in Myanmar, stellte sich deshalb bereits in ihrer Schulzeit die Frage, warum keine Sprichworte Frauen dazu ermutigen, ihre Ziele zu verfolgen. Mit Fahnen und Plakaten setzt sie sich vor dem Kunsthaus mit patriarchalischen Redewendungen auseinander.
Noch bis zum Tag der Menschenrechte, dem 10.12., können die Werke der Ausstellung „Demokratien in Gefahr” an neun Orten, fünf davon im Annenviertel, besucht werden.
Titelbild: Consuelo Méndez und Katcha Bílek (v.l.n.r) vor dem Engel von Auschwitz – Foto: Magdalena Kurz
- 27.11.2024, 18.00 Uhr: (Un-)Ruhig bleiben?
- 03.12.2024, 18.00 Uhr: Wahlkämpfen auf Kosten der Menschenrechte
- 09.12.2024, 15.00 Uhr Kuratorinnen- und Künstler:innenführung
„Demokratien in Gefahr“ findet an neun Orten, fünf davon im Annenviertel, statt
- „Work in Progress”: Maria-Stromberger-Gasse 9 – Katcha Bílek (UK/AT) & Consuelo Méndez (VE)
- „Bezugspunkte 38/88”: Europaplatz – IRWIN (SI)
- „Weisheit ist mit der Frau seit aller Ewigkeit”: Kunsthaus Graz, Lendkai 1 – Zoncy Heavenly (MM)
- „DEMOKRATIE LEBEN”: KiG! Kultur in Graz, Lagergasse 98a – Doris Jauk-Hinz (AT)
- „Hinsehen, Anhören, Widersprechen”: Justizanstalt Graz-Karlau, Mauergasse – Maryam Mohammadi/Eva Ursprung/Joachim Hainzl (AT)
Alle Infos findet ihr hier.