Zwei Grazer Initiativen diskutierten beim Crossroads-Festival am Lendkai über Geschlechteridentitäten und bastelten gegen Stereotype, um mehr Respekt zu vermitteln. Welche neuen Perspektiven liefern sie für queere Menschen in Graz?
Im Spektral am Lendkai hat eine Gruppe von Personen auf Sofas und Stühlen Platz genommen. Sie trinken Tee gegen die Kälte von draußen und unterhalten sich ein wenig. Bald darauf ist es dann soweit: Samuel Schröttenhamer, einer der Gründer der Bewegung „T-Kränzchen“, begrüßt die Runde. Der zweistündige Workshop „Nichts darf man mehr sagen” beginnt.
„T-Kränzchen” ist eine Initiative, die sich in erster Linie an Trans-Männer in Graz richtet. Dies tut sie in Form von Stammtischen. „Es gibt keine Agenda. Man kann vorbeikommen und über Themen sprechen, die einen beschäftigen. Man gestaltet Freizeit miteinander”, so Schröttenhamer. Einen Austausch gibt es auch in einer Telegram-Gruppe und durch Workshops. Einer fand im Rahmen des Crossroads Festivals im November statt, welches Organisationen eine Bühne gibt, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen.
Während Schröttenhamer seine eigene Transition begonnen hatte, gründete er 2018 gemeinsam mit einer befreundeten Person das T-Kränzchen. Der Ursprungsgedanke dahinter: Erfahrungen und Informationen, etwa über Gutachten oder Stellungnahmen, die man für eine geschlechtliche Veränderung braucht, zu sammeln und weiterzugeben. „Ich fand es wichtig, einen Raum zu haben, wo es Leute gibt, denen es gleich geht wie mir. Transidentität ist eine total einsame Erfahrung, weil es wenig Repräsentation gibt. Dem wirken solche Gruppen entgegen.”
„Sprache prägt unsere Realität”
In der Gesellschaft ist das biologische Geschlecht einer Person meist mit einer Rollenerwartung verbunden, erklärt der Gründer. So beeinflussen laut ihm die primären Geschlechtsorgane einer Person die Erziehung, das Spielzeug, die Kleidung und später die Bildung, den Beruf und die Position in der Gesellschaft. Oft wird dabei nicht beachtet, dass es Menschen gibt, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen („nicht-binär”), bei denen das biologische Geschlecht nicht eindeutig in eine Kategorie passt („Intergeschlechtlichkeit”) oder die nicht dem Geschlecht angehören, das ihnen zugewiesen wurde („Transidentität”).
Deswegen sei Sprache wichtig, vermittelt Schröttenhamer im Workshop der Runde, die vor ihm im Spektral sitzt und lauscht: „Wir erklären uns die Welt durch Sprache. Wenn es keine Wörter für etwas gibt, kann es nicht wahrgenommen werden, denn es fehlt das Werkzeug, um es in die Realität zu übersetzen.”
Weiter zum nächsten Workshop beim Crossroads Festival, veranstaltet von „Qufo”. Den Verein gibt es seit März, die Gründer:innen kommen aus anderen Organisationen, wie zum Beispiel von den „RosaLila PantherInnen“ oder dem Frauenrat. „Wir haben uns gedacht, es wäre cool, etwas zu machen, bei dem der Fokus auf queer-feministische Themen liegt und mehrere Bereiche vereint”, sagt Stefanie Dirnberger, die den Verein mitbegründet hat.
Kreativität gegen Geschlechternormen
Die von „Qufo” initiierten Aktionen beruhen meist auf einem kreativen Zugang. So etwa die Kinoreihe „Queeno”, die regelmäßig im Rechbauerkino zu sehen ist. „Wenn man sich mit der eigenen Identität auseinandersetzt, kann Kreativität ein super Mittel dafür sein”, so Dirnberger. Auch an diesem Tag beim Crossroads Festival steht Kreativität am Plan. Der Verein möchte auf künstlerische Weise mit der binären Geschlechterordnung brechen. So verwandelt sich das Spektral in eine Bastelwerkstatt: Es wird gezeichnet, gestaltet und gecraftet, also, laut Cambridge Dictionary, etwas handwerklich geschaffen, beispielsweise Anstecker, auf denen verschiedene Pride Flags abgebildet sind – und somit ein Beitrag geleistet, gesellschaftliche Geschlechternormen ein Stück weit aufzubrechen.
„Es ist ein natürlicher Vorgang, dass Menschen in Schubladen gesteckt werden, auch wenn sie da vielleicht nicht reinpassen. Problematisch wird es, wenn sie nicht die Möglichkeit haben, so zu leben wie sie wollen”, erklärt Dirnberger.
Qufo = queer-feministische Organisation
Pride Flag = Flagge, die einen Teil der queeren Community repräsentiert
Titelbild: Der Workshop „Nichts darf man mehr sagen“ beginnt – Foto: Magdalena Binder