Die Künstlerin Ren Aldridge bietet mit ihrem Projekt „The Resistance Quilt Project“ in ihrem Atelier am Griesplatz eine Plattform, um Präventionsmaßnahmen für Femizide zu gestalten. Es ist ein Ort für feministischen Diskurs.
Von: Lena Gollowitsch, Victoria Kimla
Im Jahr 2023 taufte die Europäische Union (EU) Österreich das „Land der Femizide“. Denn im Vergleich zu anderen EU-Ländern ist die Femizidrate hier, gemessen an der Einwohner:innenzahl, besonders hoch. Eine traurige Realität, die sich auch 2024 nicht ändert. 27 Femizide hat es bisher in Österreich gegeben – zwei davon allein in Graz, berichten die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser. Hinzu kommen 39 mutmaßliche Mordversuche und schwere Gewalt durch (Ex-)Partner, Familienmitglieder oder Personen im nahen Umfeld der Opfer.
Aus Verzweiflung wird Widerstand
„Femizide sind nicht unvermeidlich, Femizide sind das Ergebnis patriarchaler Systeme und sozialer Normen, die wir gemeinsam verändern können“ so das Motto des „The Resistance Quilt Projects”, das der Frage nachgeht, wie man Femizide verhindern kann. Entstanden ist das Projekt durch die Arbeit des f*streik graz. Das feministische Kollektiv organisiert seit Juni 2020 regelmäßig Demonstrationen gegen Femizide. Die Aktivistin und Künstlerin Ren Aldridge ist von Anfang an dabei.
Die Idee des “Resistance Quilts” entstand, als die gebürtige Britin bei einer Demonstration für jede ermordete Frau in Österreich ein Banner aus Bettlaken gestaltete. Ende letzten Jahres nähte sie diese zu einem großen Patchwork-Quilt zusammen. Sie möchte damit auf das Muster hinter der Gewalt im häuslichen Bereich aufmerksam machen: Femizide sind keine Einzelfälle, sondern spiegeln patriarchale Strukturen wider. „Es ist so traurig“, sagt Ren Aldridge, als sie sich mit der Annenpost in ihrem Atelier am Griesplatz trifft, „weil wir schon so viele dieser Banner machen mussten“.
Doch ihr Projekt sollte nicht bei Trauer stehen bleiben: „Es war für mich wirklich wichtig, nicht nur die Femizid-Banner zu haben, sondern auch Forderungen zu stellen. Um uns auf die Frage zu fokussieren: ‚Was können wir gegen Femizide tun?‘ “ so entstand die Idee der “Demand Banners”: In Aldridges Workshops, die an unterschiedlichen Orten in Graz stattgefunden haben, formuliert eine bunte Mischung an Teilnehmer:innen sogenannte “Demands”, also Forderungen an die Gesellschaft, und arbeiten diese künstlerisch auf den Bettlaken auf.
Den Bannern, die in den Workshops nicht fertig wurden, wird gerade in Aldridges Atelier der letzte Schliff verpasst. Es gibt warmen Tee, im Hintergrund läuft Musik, Gespräche in unterschiedlichen Sprachen schwirren durch das Atelier. Die Teilnehmer:innen zeichnen und nähen gemeinsam, in bunter Schrift steht nun etwa “Unterstützung geben, ohne Selbstbestimmung zu nehmen” oder “Isolation bekämpfen“ auf den Quilts. Es sind Geschichten über Zusammenhalt und Unterstützung, die ausgetauscht werden. Geschichten gegen Isolation und Femizide. Trotz der Kälte herrscht ein reges Kommen und Gehen an diesem Tag in ihrem Atelier am Griesplatz.
Kleine Rebellionen, große Veränderungen
„Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, auf all diese wirklich großartigen Veränderungen, die stattgefunden haben – diese Veränderungen sind durch ganz viele verschiedene Menschen geschehen. Oft wussten sie nichts voneinander. Aber aufgrund all dieser kleinen Rebellionen hat sich die Kultur verändert“, erklärt Ren Aldridge bei dem Gespräch in ihrem Atelier leidenschaftlich ihren Aktivismus. Die vielen Quilts aus den Workshops haben die Frauen schon zu einem großen “Resistance Quilt” zusammengenäht. Dieser ist ab dem 6. Dezember zusammen mit dem „Sound Quilt“ von der Künstlerin und Aktivistin Reni Hofmüller im Forum Stadtpark zu sehen.
Feminismus im Annenviertel
Mit ihren Workshops war die Künstlerin überall in Graz, besonders gerne arbeitet sie aber in Lend und Gries: „Dieses Viertel der Stadt ist viel freundlicher und die Menschen interessierter.“ Auch die Demonstrationen des f*Streiks starten meist am Gries- oder Lendplatz. Doch im feministischen Aktivismus in Graz muss noch einiges getan werden, sagt Ren Aldridge und zieht einen Vergleich mit ihrer Heimat: „Der größte Unterschied ist, dass es im Vereinigten Königreich weniger Islamophobie gibt. In Österreich gibt es noch viel Misstrauen und Vorurteile.“ Das zeigt sich auch in einer Umfrage des Standard: 47 Prozent der Musliminnen und Muslime in Österreich haben in den letzten fünf Jahren Diskriminierung erlebt. Österreich ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern wieder einmal auf Platz 1.
„Señoras“ is a state of mind
Dabei ist Isolation eine der Hauptursachen für Femizide. Ren Aldridge appelliert an einen stärkeren Zusammenhalt untereinander: „Es geht darum, die Menschen kennenzulernen, freundlich und aufmerksam zu sein und aufeinander zuzugehen.“ In ihrem Atelier hängt ein Zettel an der Wand: „Señoras is a state of mind.“ Daneben ein Foto mit drei alten Frauen auf Plastikstühlen, die sich unterhalten. Laut Aldridge ist Stärke in Gemeinschaft zu finden ein erster wichtiger Schritt, der uns einem Ende der Femizide in Österreich näher bringen kann.
Die Eröffnung des „The Resistance Quilt Project“ findet am 06.12.2024 im Forum Stadtpark statt.
Das Kollektiv f*streik Graz organisiert regelmäßig Demonstrationen gegen Femizide.
Notruf Frauenhäuser: 0800 20 20 17
Helpline Männerinfo: 0800 400 777
Bereitschaftsdienst Amt für Jugend und Familie: 0316 872 3043
Unter einem Femizid versteht man die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von „Verstößen“ gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden. Femizide gehören daher zu den Hassverbrechen. 1976 wurde der Begriff erstmals verwendet. (Quelle: AÖF- Autonome Frauenhäuser Österreich)
Orange the world: “Man(n) kann Gewalt an Frauen beenden”. 16 Tage gegen Gewalt an Frauen: https://www.unwomen.at/unserearbeit/kampagnen/orange-the-world/oesterreich/
Das Interview mit Ren Aldridge wurde aus dem Englischen heraus übersetzt.