Graffiti auf Hausfassade: "Sexarbeit ist Arbeit"

Sexarbeit: Vom Laufhaus zu BookSusi

Lesezeit: 5 Minuten

Am 17. Dezember findet der „Internationale Tag zur Beendigung von Gewalt gegen Sexarbeiter:innen” statt. Ein Laufhausbesitzer und eine Streetworkerin sprechen über Vorurteile gegenüber der Branche, “Safe Spaces” und das Problem mit der Online-Prostitution.

Von Stefanie Groß und Melanie Spieler 

Es ist dunkel an diesem Dezemberabend. Wir gehen um ein Gebäude und biegen in eine kleine Nebenstraße ein. Der Eingang des Nachtclubs erscheint in klischeehaft rotem Licht. Wir klingeln. Ein Mann öffnet die schwere Eisentür. Drinnen erwartet uns dämmrige Ruhe. Der Arbeitstag fange jetzt erst langsam an, sagt der Mann. An der Bar läuft Musik, zwei Frauen sitzen an der Theke. Eine von ihnen ist erst vor wenigen Minuten aufgestanden und schminkt sich.

Sprachbarriere im Laufhaus

Unsere Recherche startete in der Nähe des Griesplatzes. Bevor wir uns näher mit dem  Thema beschäftigten, schwirrten einige Vorurteile in unseren Köpfen herum. Doch wie sieht die Branche der Sexarbeit wirklich aus? Wie sicher können Frauen arbeiten? Um das – rechtzeitig zum “Internationalen Tag zur Beendigung von Gewalt an Sexarbeiter:innen” herauszufinden – haben wir uns auf einen Rundgang im Annenviertel begeben, bei dem wir die meisten der noch vorhandenen Laufhäuser und Bordelle abklapperten. 

Nicht alle Sexarbeiterinnen und Laufhausbesitzer:innen sind uns aufgeschlossen begegnet. Ganz im Gegenteil. Nach Eintreten und kurzem Vorstellen, wurden wir meist sehr schnell wieder raus gebeten. Wir haben die Misserfolge auf die Sprachbarriere geschoben, denn die meisten Sexarbeiterinnen kommen aus Osteuropa – aus Bulgarien, Rumänien und Ungarn. Dennoch haben wir einen Einblick bekommen, wie die Arbeitsumgebung der Frauen aussehen kann. 

Der Mann, der uns die Tür öffnete

Mit uns sprechen wollte Luis*, Familienvater und Laufhausbesitzer. Luis hat vor fünf Jahren einen Nachtclub in 8020 übernommen. Er führt ihn zusammen mit seiner Frau. Das Ehepaar möchte seinen Namen nicht veröffentlicht sehen, sodass wir ihn hier anonymisieren. Beide haben in den vergangenen Jahren sowohl positive als auch negative Aspekte der Szene kennengelernt. Das Laufhaus, meint Luis, sei im Vergleich eine Art Safe Space. „Bei mir ist es familiär, es gibt keinen Stress. Ich will, dass alles sauber ist, Grenzen eingehalten werden und nicht laut geschrien wird.“ Das Arbeitsklima und die Sicherheit der Sexarbeiterinnen liegen ihm am Herzen. Das ist nicht selbstverständlich.

Eingang eines Nachtclubs
Tagsüber wie verlassen. – Foto: Melanie Spieler

Das Problem mit BookSusi

Durch die Corona-Pandemie befeuert, hat sich die Sex-Dienstleistung der Bordelle bzw. Laufhäuser immer mehr in den privaten Bereich verschoben. Heute dominiert die Werbeplattform BookSusi den Markt. Für Graz 8020 sind dort im Dezember 2024 rund 65 Anzeigen von Privatpersonen abrufbar. Eine davon ist Bella. Sie posiert in ihrem Inserat liegend auf einer weißen Ledercouch, trägt einen kurzen roten Rock, einen BH und schwarze Plateau-Schuhe. Maria zeigt sich hingegen freizügiger: Sie ist komplett nackt und spreizt ihre Beine. Booksusi.com bietet aber nicht nur privaten Sexarbeiter:innen eine Plattform. 

„Wir machen auch Werbung auf BookSusi”, erzählt Luis, als wir zusammen an der Theke seines Nachtclubs sitzen, „aber viele Private bieten ihre Dienste ausschließlich über die Plattform an, obwohl das verboten ist. Die Polizei tut wenig dagegen.“ Sexuelle Dienstleistungen in privaten Wohnungen sind laut §3 des Steiermärkischen Prostitutionsgesetzes verboten. Unter anderem, weil dadurch die behördliche Kontrolle bezüglich der Übertragung von sexuellen Krankheiten unmöglich wird. „Viele Sexarbeiter:innen werben mit AO**, also, dass sie es auch ohne Gummi machen. Dadurch werden Krankheiten zu einer realen Gefahr, es gibt aber eine hohe Nachfrage danach“, sagt Luis.

Kondome und Kontrolle

Um in der Sexarbeit legal tätig sein zu dürfen, müssen Frauen alle sechs Wochen Check-Ups bei einem Amtsarzt machen. „Ich muss kontrollieren, ob sie beim Arzt waren oder nicht, denn ich möchte keine kranke Frau da haben”, sagt Luis. „Bei mir gibt es Sex nur mit Kondom. Wenn ich einmal höre, dass keines verwendet wird, dann ist sie sofort weg.“

Die illegale Wohnungsprostitution wird nicht selten durch Kontrolle und Gewalt durch Zuhälter geprägt. „In einer Privatwohnung hat der Zuhälter einen besseren Überblick wer, wann und wie lange in welchem Zimmer bei wem war. Sogar der Chat mit den Kunden wird von den Zuhältern geführt, nicht von den Frauen selbst. Im Laufhaus können sie nicht sehen, wie viel Geld die Mädchen genau machen”, sagt Luis. „Früher waren viele Bordellbetreiber Zuhälter, jetzt nicht mehr.” Das Vorurteil ist aber in vielen Köpfen tief verankert. Für Luis und seine Frau ein Grund, ihre Arbeit geheim zu halten. 

Auch aus Sicht von Michaela Engelmaier vom Frauenservice Graz „hat sich die Lage verbessert, denn es ist viel selbstbestimmter geworden.“ Dennoch spiegelt sich dieser Wandel nicht in der Wahrnehmung der Gesellschaft wider: „Was sich nicht verändert hat, ist der Glaube, es würde in diesem Umfeld überwiegend viel Gewalt passieren, wie Ausbeutung und Nötigung.” Sie sagt, es sei zu differenzieren: „Es braucht dringend eine klare Trennung und Benennung zwischen der Sexarbeit und den anderen Straftaten, wie Vergewaltigung, Nötigung, Ausbeutung, Erpressung oder Ausnützung der Notlage.” Als Sexarbeit zählt nur die einvernehmliche Sexuelle Dienstleistung. Alles weitere, ist dem Menschenhandel oder struktureller Gewalt zuzuordnen. 

Laut dem Lagebericht des Bundeskriminalamtes 2023 ist die Anzahl an grenzüberschreitendem Prostitutionshandel zurückgegangen. Gab es 2022 26 weibliche Opfer, waren es im darauffolgenden Jahr nur noch 17. Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit erkennt man einen klaren Rückgang. 2019 gab es noch 53 gemeldete Opfer. Der  Bericht führt den Rückgang auf das “Abdriften der Prostitution in die Illegalität” zurück, außerdem auf die “erhöhte Gewaltbereitschaft der Täter”, was betroffene Frauen einschüchtere. Geschützte Umgebungen wären in der Branche der Sexarbeit angemeldete Einrichtungen, wie zum Beispiel Bordelle oder Laufhäuser – natürlich kann auch hier eine mögliche Gewaltausübung an Sexarbeiter:innen stattfinden. Laut Statistik findet Gewalt und Ausbeutung aber häufiger in der illegalen Wohnungsprostitution statt.

Malerei an der Außenwand der "Luna Bar"
Eines der wenigen, noch vorhandenen Laufhäuser. – Foto: Melanie Spieler

Die Sprache der Szene

Luis verwendet oft das Wort Mädchen für seine Sexarbeiterinnen. Er ist damit nicht der Einzige in der Branche. Michaela Engelmaier sieht das kritisch. „Denn es sind Frauen, die in Nachtclubs arbeiten. Sie sind erwachsen, selbstbestimmt und nicht minderjährig, das wäre illegal.” In den letzten paar Jahren, ist der Umgang mit Sprache – auch in der Bevölkerung – sensibler geworden. „Das alte Wort Prostitution wurde von Sexarbeit abgelöst. Denn das ist es: Es ist eine Arbeit”, so Engelmaier.

Vorurteile und Realitäten

Das Klientel ist nicht rein männlich. „Es kommt oft vor, dass Frauen zusammen mit ihren Partnern kommen”, erzählt Luis. Entgegen der Vorstellung vieler, ist es für ihn selbstverständlich, Frauen den Zutritt zu gewähren: „Warum soll ein Mann mehr Rechte haben als eine Frau? Eine Frau hat auch Fantasien.“ Diese Meinung vertritt nicht nur er. „Es gibt viele Frauen, die gerne sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen würden, machen das aufgrund der gesellschaftlichen Sozialisierung aber nicht”, so Engelmaier.

In Luis Laufhaus gehe es auch gar nicht nur um Sex. Viele der Stammkund:innen kommen nur zum Trinken an die Bar. Das Laufhaus bietet ihnen einen Ort für Austausch. „Hier kann man sich anders unterhalten als in einem Café oder in einer Disco. Die Gespräche gehen auch nicht nur über Sex, sie sind viel offener. Man redet darüber, wie es einem geht, über Politik und sonst irgendwas. Du schämst dich nicht. Du hast hier andere Gespräche als draußen.“

Zusätzliche Informationen: 

*Luis ist ein Pseudonym. Um die Identität des Laufhausbesitzers zu schützen, hat die Redaktion den Namen geändert.  

** Die Abkürzung steht für “alles ohne”.

 

Titelbild: Fassade der Postgarage – Foto: Stefanie Groß

Hallo, ich bin die Steffi (she/her), 21 Jahre alt und lebe - seitdem ich Journalismus & PR an der FH Joanneum studiere - in Graz.
Meine Interessen sind sehr breit gefächert. Feminismus, Gleichberechtigung, Sport & Gesundheit, Reisen & Kultur, Diversity, Natur, Forstwirtschaft, ...
Es gibt wenig, dass mich so gar nicht interessiert.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

5 × drei =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorherige Geschichte

Theater gegen das Kultur-Prekariat

Nächste Geschichte

Von Erleichterung bis Trauer: Frauenstimmen im Theater

Letzter Post in SOZIALES