Der syrische Lebensmittelhandel "Damaskus" am Lendplatz

Sturz des Assad-Regimes: Gemischte Gefühle im Annenviertel

Lesezeit: 3 Minuten

Wie geht es den Syrer:innen, die vor Krieg und Diktatur nach Graz geflüchtet sind, nach dem Sturz des Assad-Regimes? Begegnungen in zwei syrischen Supermärkten.

Aleppo Supermarkt am Griesplatz, eine Gruppe von Männern steht an der Kasse und unterhält sich auf Arabisch. Die syrische Spezialitäten-Abteilung des Geschäfts erstreckt sich über zwei Regale. Auf die Frage, ob es hier Mitarbeiter:innen gibt, die aus Syrien kommen, unterbrechen die Männer ihr Gespräch. Sie schauen sich an, dann ruft einer von ihnen quer durch den Raum: „Mohammed!“ Erst nach dem dritten Mal rufen, lugt Mohammed hinter den Regalen hervor, in den Händen dutzende Chubz, arabische Fladenbrote, die er gerade einräumen wollte. Zögernd tritt er hervor. „Sie will dich interviewen“, sagt einer der Männer neben der Kasse zu ihm. „Jetzt wo Assad weg ist, will sie dich wieder nach Syrien schicken“, lacht der andere und klopft Mohammed auf die Schulter. Dieser weicht erschrocken zurück. Nein, ein Interview gibt er ganz sicher nicht.

Die Bemerkung der anderen, die eigentlich als Scherz gemeint war, hat ihn getroffen. Wer könnte es ihm verübeln? Nur einige Stunden nachdem die Nachricht über den Sturz des Assad-Regimes Österreich erreichte, forderten die ersten österreichischen Politiker bereits die Aberkennung des Schutzstatus von geflüchteten Syrer:innen und ihre sofortige Abschiebung.

„Wir haben uns gefühlt wie Tiere”

Erst nach einigen Minuten kommt Mohammed wieder hinter den Regalen hervor, neben ihm ein weiterer Mitarbeiter, der ebenfalls aus Syrien kommt. „Ok,“ willigt er ein, „wir werden ein paar Fragen beantworten.“

Mohamed kommt aus Homs, mit sieben Jahren musste er aus seiner Heimat fliehen und lebt seitdem in Österreich. „Ich habe mich so gefreut, als ich gehört habe, dass Assad weg ist“, meint er. Der andere syrische Mitarbeiter neben ihm nickt: „Unter Assad haben wir uns 50 Jahre lang wie Tiere gefühlt. Jetzt haben wir uns befreit, jetzt können wir uns endlich wie Menschen fühlen“ Auch er musste vor einigen Jahren fliehen, doch seine Frau und zwei Kinder leben noch in seiner Heimatstadt Aleppo: „Ich habe beantragt, dass meine Familie nach Österreich nachkommen kann und warte seit elf Monaten auf eine Antwort. Ich habe einen Sohn, eine Tochter und eine Frau. Falls es nicht funktioniert, muss ich zurück nach Syrien und für sie da sein. Ich hoffe aber, dass sie nach Österreich reisen dürfen. Ich will, dass meine Kinder hier in einem besseren Land leben können.“

In Graz wohnen beinahe 4000 Menschen syrischer Abstammung. Ein Großteil von ihnen musste aus ihrer Heimat fliehen und konnte seither weder zurückkehren noch ihre zurückgebliebene Familie wiedersehen.

Zerstörte Heimat

Ein ähnliches Schicksal durchleben auch Anas und Rojhat, die im Lebensmittelhandel “Damaskus” am Lendplatz arbeiten. Anas sitzt hinter der Kasse und scannt die Einkäufe eines Kunden, während er auf Arabisch erzählt, Rojhat steht dahinter und übersetzt: „Ich musste 2014 fliehen, denn sonst wäre ich verhaftet und gefoltert worden. Sie haben mir vorgeworfen, damals, 2011, demonstriert zu haben, obwohl es nicht stimmt.“

Zuerst floh Anas in die Türkei, 2018 kam er nach Graz. „Ich kann nicht glauben, dass Syrien jetzt frei ist. Ich möchte meine Familie unbedingt bald besuchen fahren, ich habe sie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen.“ Er möchte jedoch nur für einen Urlaub wieder zurückkehren. Denn die Häuser und Straßen seiner Heimatstadt seien komplett zerstört, er könne sich nicht vorstellen, dort je wieder zu leben.

Auch Rojhat, der eigentlich nur für Anas übersetzen wollte, beginnt dann zu sprechen: „Natürlich habe ich mich gefreut, als ich die Neuigkeiten aus Syrien gehört habe. Aber ich kenne Syrien nicht wirklich, ich kann mir nicht vorstellen, wieder zurückzukehren.“ Rojhad war ein kleines Kind, als er fliehen musste, in Österreich ist er groß geworden und in die Schule gegangen.

„Syria is free!“

Alle vier Männer blicken positiv in die Zukunft ihres Heimatlandes Syrien. „Ich hoffe, dass in ein oder zwei Jahren alles so wie früher wird, dass alles wieder gut wird“, meint Mohammed. Auch Asan ist positiv gestimmt: „Oft wurden die, die das Regime gestürzt haben, als Terroristen bezeichnet. Aber sie wollten nur Freiheit für die syrischen Bürger.“ Sie wünschen sich, dass Syrien zu einer Demokratie werde und die Bürger:innen selbst bestimmen können, wer das Land regiert. „Es soll Frieden geben, wie hier in Österreich“, sagt Mohammed und lächelt.

Nach dem Gespräch, Mohammed räumt bereits die restlichen arabischen Fladenbrote ins Regal, blickt er noch einmal auf und ruft jubelnd: „Syria is free!“

 

Titelbild: Syrisches Lebensmittelgeschäft Damaskus“ am Lendplatz. – Foto: Isabella Wiesler

Infobox
Nach mehr als einem Jahrzehnts des Bürgerkriegs, wurde der Langzeit-Machthaber Baschar al-Assad gestützt. Er regierte das Land mit eiserner Hand, sodass Millionen Syrer:innen fliehen mussten. Laut Statistik Austria lebten zu Jahresbeginn 95 180 Syrer:innen in Österreich, 3678 davon in Graz. 

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