„Da ist der Herr Doktor genauso hereingekommen wie der Sandler.“

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Falls die Grazer Griesgasse so etwas wie eine „gute Seele“ hat, dann ist diese wohl hinter der schmalen Holztür auf Nummer 34 zu finden, genau dort, wo auch am späten Vormittag noch Austro-Pop aus der Jukebox tönt. Seit dreißig Jahren steht Beate Wagner fünf Nächte pro Woche hinter der Theke ihrer „Frühbar“ und bewirtet ihre Gäste mit Bier, Spritzer, Eierspeise, Ki(nder)Wi(ener), Schlagermusik und – nicht zuletzt – therapeutischen und erzieherischen Maßnahmen.

Es ist halb elf am Abend, noch ist wenig los in der Frühbar. Die Jukebox war wieder einmal kaputt – jetzt trinkt der extra zwei Stunden lang angereiste Monteur nach erledigter Reparatur noch einen Kaffee an der Theke. „Seit Jahren komm’ ich regelmäßig her, wenn was ist. Die Beate, die kann mich wirklich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen, kein Problem. Die kann sich wirklich auf mich verlassen!“ Im Laufe des darauf folgenden Gesprächs mit der zarten, blonden Frau, die weit jünger aussieht als sie – rein rechnerisch – sein müsste, wird immer klarer, warum Beate Wagner auf eine so treue Fangemeinde verweisen kann. Sie verfügt nämlich über eine Eigenschaft, die es nicht allzu oft gibt: Integrität.

Was hat sich seit 1982 in der Griesgasse so verändert?

Lokale hat’s eigentlich nicht viele gegeben. Und es hat noch Sperrstunde gegeben, die Gasthäuser haben zwischen zwölf und eins zusperren müssen und die anderen Lokale zwischen drei und vier. Wir waren eines der wenigen mit Früh-Aufsperrung, haben zusätzlich noch von vier in der Früh bis zum Vormittag offen gehabt. Früher hat es hier viele kleine Handwerksbetriebe gegeben und es war auch eine Gasse, wo die Mädchen gestanden sind. Die Prostitution war ja damals nicht erlaubt und wenn die Sitte durchgefahren ist, sind die Mädchen immer hier hereingekommen was trinken. Das war eigentlich relativ lustig.

 Das Rotlichtviertel gibt’s ja hier fast gar nicht mehr.

Ja, das ist komplett weg, hat sich alles in die Babenbergerstraße und die Kärntnerstraße verlagert. Jetzt gibt’s nur mehr das Red Rose (Bordell, Anm.), und das spür‘ ich gar nicht. Aber ich bin eh froh, war ja auch anstrengend. Die Mädchen waren zwar lustig, aber haben auch ganz gern gebechert und dann hat’s öfters Zickenkriege gegeben untereinander (lacht).

 Und wie hat die Klientel sonst so ausgeschaut damals?

Das war, so wie jetzt auch, sehr bunt gemischt. Da ist der Herr Doktor oder der Student genauso hereingekommen wie der Sandler. Es waren viele Arbeiter da, da hab‘ ich oft genug in der Früh die Music Box leiser schalten und in der Firma anrufen müssen, dass der und der krank ist, Darmgrippe oder sowas (lacht). Das geht heute alles nicht mehr. Jetzt gehen die meisten Leute nur mehr am Wochenende fort. Es war auch viel mehr Geld unterwegs. Einige Arbeiter sind am Samstag pfuschen gegangen und das Geld, das sie verdient haben, haben sie gleich bei mir versoffen.

Mitte der 80er Jahre war der Falco oft da. Der war vielleicht anstrengend! Also, er war ein super Kerl, aber sehr exaltiert und extrem. Damals ist er grad mit der Isabella (Mutter seines vermeintlichen Kindes, Anm.) zusammen gekommen. Es waren viele Künstler und Intellektuelle da – alle von STS zum Beispiel oder der Boris Bukowski – und haben in der Früh Gas gegeben. Jetzt kommen sie nicht mehr, die sind alle schon gesetzt. Früher sind die Väter gekommen, heute kommen die Söhne und die Töchter. Viele Stammgäste sind mittlerweile schon gestorben, darunter auch mein Lebensgefährte, letztes Jahr.

 Die Jugendkultur war damals noch gar nicht vertreten, oder?

 Nein, das hat erst 1997 angefangen, wie das „Arcadium“ aufgesperrt hat. Jetzt sind viele junge Leute und Studenten da, auch unter der Woche. Die Postgarage hat mir viel gebracht. Weil die ist nicht weit weg und das Personal kommt nach dem Dienst gern her frühstücken. Und die bringen mir immer neue Leute.

 Und wann hat das angefangen mit den türkischen und kroatischen Lokalen?

 Das war Mitte der 90er Jahre. Der erste, der aufgemacht hat, ist da nebenan, da war früher ein Juwelier. Sogar zwei Juweliere hat es gegeben. Weiter oben war eine Näherei, schräg gegenüber war ein Elektrogeschäft, daneben ein Reisebüro und eine Lotto-Annahmestelle. Dort, wo jetzt das Café Royal ist, war der Werkhof drin. In dieser Gasse hat es alles gegeben. Das hat sich schon sehr verändert.

 Hat man da mit den anderen Lokalbesitzern kollegialen Kontakt oder bleibt man lieber unter sich?

 Ich hab‘ wenig Kontakt, das ist eine andere Mentalität, das ist nicht so meins.

 Es wird hier Wert gelegt auf einen freundschaftlichen Umgang mit den Gästen. Aber es gibt sicherlich auch Leute, die sich hier schnell unbeliebt machen. Was muss man denn tun, damit man rausfliegt?

 Seinerzeit, Mitte der 90er, waren einige Strizzis, also Zuhälter da, da ist gern einmal gerauft worden. Aber das hab‘ ich alles abgeschafft. Die sind jetzt eh schon ausgestorben. Taschendiebe haben wir auch gehabt. Und wenn du so was machst, dann brauchst gar nimmer kommen, da bin ich sehr konsequent. Muss ich ja auch sein. Wenn sich bei mir einmal einer ungut benommen hat, den merk ich mir dann auch. Es gibt ja welche, die gehen fort, nur damit sie eine Kurblerei (Schlägerei, Anm.) haben. Und die brauch‘ ich wirklich nicht.

Du hast Mittwoch bis Sonntag geöffnet und machst das meistens alleine, nur selten mit Aushilfe. Wie schaut dein Tagesablauf aus, wenn du frei hast?

Montag hab ich Rentnersex – essen und schlafen (lacht). Am Dienstag kommen dann  Haushalt und Einkauf dran.

 1982 hast du angefangen – wird das 30-jährige Jubiläum heuer gefeiert?

 Ach nein, ich feier‘ ja eh so schon genug (lacht). Und außerdem – wenn man eine Feier ansagt, dann wird es meistens nicht so lustig. Sowas muss von selber passieren.

Gibt’s Pläne für die Zukunft?

Naja, 2014 geh ich in Pension, dann wird’s wahrscheinlich zusperren. Weil der nächste müsste zu viel umbauen.

 Und was passiert dann mit der Jukebox?

Die werde ich verkaufen. Die braucht zu viel Platz, dafür ist meine Wohnung zu klein.

PS:

Ins Innere dieser legendären Jukebox hat mich der Monteur sogar einen Blick werfen lassen. Und das mittlerweile zum gepflegten Brauch gewordene Spiel, das eigene Geburtsdatum einzutippen und somit den „persönlichen Song“ zu bekommen, ist in meinem Fall gut – und angenehm exaltiert – ausgegangen: Falco – Out Of The Dark…

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